Eine Warnung vorweg: Es wird theoretisch – aber interessant.
In Structuralism and Semiotics von Terence Hawkes (leider nur in Englisch erhältlich) bin ich auf eine interessante Gedankenkette gestossen, an deren Ende die Behauptung steht: Sprache wirkt als starke konservierende Kraft auf unsere Wahrnehmung der Welt (S. 26). Ich umschreibe frei: Die Sprache ist wie ein Klotz am Fuss, wenn wir uns bemühen, gedanklich vom Fleck zu kommen, uns und unsere Umgebung zu entwickeln und vorwärts zu bringen. Oder positiver gesagt: Die Sprache stabilisiert und gibt uns ein gesundes Entwicklungstempo vor, indem sie verhindert, dass wir uns selbst überholen.
Wie kommt Hawkes zu diesem Schluss? – Er beginnt beim Schweizer Sprachwissenschaftler Ferdinand de Saussure (1857 – 1913), der feststellte, dass ein sprachlicher Ausdruck (also zum Beispiel ein Wort) in keiner logischen oder natürlichen Weise mit dem „Ding“ verbunden ist, das er bezeichnet. Dass die Gebilde, die wir bewohnen, „Häuser“ heissen, kann nicht begründet werden; die Bezeichnung ist vollkommen willkürlich. Sie funktioniert allein aufgrund einer Konvention und nicht etwa, weil sie logisch herleitbar wäre. Damit wir eine Sache diskutieren können, so de Saussure weiter, muss sie aber eine vernunftmässige Grundlage haben, sonst kann man ja nicht argumentieren. Weil der Beziehung zwischen Sprache und Welt diese Grundlage jedoch fehlt, können wir nicht über sprachliche Ausdrücke diskutieren. Wir können nicht sagen: „Dieses Wort ist passender für diese Sache als jenes Wort.“ Eine solche Behauptung lässt sich nicht begründen. Folglich lässt sich die Sprache nur sehr begrenzt gezielt formen. Und da unsere Sprache eng mit unserem Denken verknüpft ist, vererbt sie ihm auch ihre Entwicklungsträgheit. Die Sprache sorgt dafür, dass sich nicht zu viel zu schnell verändert.
Ich sehe zwei Ansatzpunkte dieser Bremswirkung:
Erstens ist es schwierig, neue Ideen zu entwickeln, wenn uns die Wörter für diese Ideen fehlen. Unsere Sprache scheint mir nur bedingt dafür geeignet, über das zu sprechen, was (noch) nicht ist. Und neue Wörter lassen sich zwar ohne Weiteres schaffen – aber nicht ebenso ohne Weiteres als Verständigungsmitel einsetzen.
Zweitens hat die Struktur unserer Sprache sehr viel mit der Struktur unserer Weltwahrnehmung zu tun. So bestimmen die Kategorien unserer Grammatik zum Beispiel mit, in welchen Kategorien wir unsere Gedanken, unsere Sicht der Dinge, organisieren. (In einem früheren Post habe ich auf einen 5-minütigen Radiobeitrag hingewiesen, der sich genau damit beschäftigt und ein Experiment beschreibt, das diese Behauptung stützt.) Die Zügel, welche diese Kategorien dem Denken anlegen, sind nur schwer abzustreifen. Daher fällt es uns nicht leicht, neue Zusammenhänge zu entdecken, neue Verknüpfungen herzustellen und die Dinge aus einer ganz anderen Perspektive zu betrachten.
Tobias Lampert meint
Klingt plausibel. Deutlich wird das z.B. im Bereich der Mystik, die versucht, sich einer Wirklichkeit anzunähern, die sie nur ansatzweise und bruchstückhaft erlebt – und zwar wirklich eher erlebt als „versteht“ oder „begreift“. Nicht von ungefähr spricht man dann davon, daß die Mystik es mit dem Unaussprechlichen (!) zu tun hat.
Andererseits finde ich es aber auch interessant, daß es in der Sprache – zwar selten, aber eben doch – hier und da so etwas wie eine innere Logik zu geben scheint, die nicht auf bloßer Konvention beruht. Bestes Beispiel: der „m“-Laut in nahezu allen Sprachen für den Begriff der Mutter: deutsch: Mutter; hebräisch: ‚em; vietnamesisch: me; finnisch: emämaa; chinesisch: mu usw. Kann aber natürlich auch sein, daß für Kinder der „m“-Laut der am einfachsten Auszusprechende ist … 😉
Cla Gleiser meint
Hi Tobias.
Ich habe beim Schreiben des Artikels auch ständig an die armen Theologen gedacht, die sich mit einem unangemessenen Vokabular abmühen müssen, um sprachlich um den „Gegenstand ihres Forschens“ herumzutänzeln. Es wäre interessant (und allenfalls auch hilfreich) einmal grundsätzlich zu überlegen, was diese Unangemessenheit für das theologische Gespräch bedeuten könnte. Der theologische „Dialog“ scheint mir nämlich oft in einer Schärfe geführt zu werden, die der Unschärfe der sprachlichen Möglichkeiten nicht angemessen ist.
Die „innere Logik“, von der du sprichst, gibt es durchaus. Die lautmalerischen Begriff liefern da starke Beispiele: Der Uhu heisst ja sicher nicht aufgrund einer willkürlichen Konvention Uhu. Gleichzeitig zeigen sich gerade hier interessante Varianten, die wiederum die Unberechenbarkeit der Sprache belegen. So kräht der Hahn in verschiedenen Sprachen zwar immer lautmalerisch, gleichzeitig aber doch bemerkenswert unterschiedlich: Kikeriki (deutsch), cock-a-doodle-doo (englisch), cocorico (französisch) zeigen das und ich glaube, es gibt noch krassere Varianten in anderen Sprachen.
Zu deiner These mit dem leicht auszusprechenden m-Laut: Da könntest du richtig liegen. Vielleicht fällt das Aussprechen dieses Lautes Kindern wirklich besonders leicht. Kann ich aber auch nur vermuten – und bin auch nicht schlauer, nachdem ich kurz in einem Buch zur Sprachentwicklung nachgeschlagen habe.