Das Miteinander von Sprache und Illustration hat mich immer schon fasziniert. Das liegt auch nahe: Sprache begeistert mich, und ich zeichne gerne. Die Sprache ist als Kommunikationsmittel ja allgemein anerkannt, da wird höchstens noch darüber diskutiert, wie man sie zu diesem Zweck am besten einsetzt. Bei Illustrationen sieht es – mindestens in der Schweiz – anders aus: Sie sind weit davon entfernt, als Kommunikationsmittel etabliert zu sein und wer sie dennoch so einsetzt, läuft allenfalls Gefahr, belächelt zu werden. Dabei birgt die Illustration ein unerhörtes Kommunikationspotenzial in sich – und kombiniert mit klarer und präziser Sprache kann das richtig explosiv werden.
Vor Kurzem bin ich auf den (englischen) Blog von Dan Roam gestossen und dann in einem weiteren Schritt auf sein Buch The Back of the Napkin. Der Titel ist mit “Die Rückseite der Papierserviette” zu übersetzen. Klarer wird’s dann im Untertitel: “Wie man mit Bildern Probleme löst und Ideen verkauft.” Leider ist das Buch (noch?) nicht auf Deutsch erschienen, denn nachdem ich es gestern zu Ende gelesen habe, empfehle ich es hier gerne mit einem grossen Ausrufezeichen weiter.
Der Autor holt weit aus und schafft eine nachvollziehbare und überzeugende Grundlage für seine Praxis des Bildermachens. (Gerne verwendet er dafür offenbar Papierservietten, daher der Titel.) So spricht er zum Beispiel von den vier Schritten des “visuellen Denkens”:
- sehen (passiv)
- betrachten (aktiv)
- vorstellen
- zeigen
Diese vier Schritte können praktisch folgendermassen aussehen:
- Damit ich mir einen Überblick über ein Problem verschaffen kann, muss ich zunächst Informationen sammeln und in einer Auslegeordnung ausbreiten. Dann kann ich sie ansehen – einfach schauen, was da vor mit liegt. So entsteht ein erster Eindruck und damit verbunden eine erste Einschätzung der Lage.
- Als zweiter Schritt folgt dann das genauere und aktivere (und anstrengendere) Betrachten. Hier treffe ich erste Entscheidungen, ich wähle aus und gliedere. Aus einer gleichförmigen Masse von Gedanken erheben sich Gruppen von Elementen, die irgendwie verbunden sind. Ich erkenne Zusammenhänge und Muster.
- Beim Vorstellen richte ich mein inneres Auge auf die Dinge, die nicht vor mir liegen. Welche Schlüsse und Möglichkeiten ergeben sich aus dem, was ich gesehen habe? Wo habe ich Ähnliches schon einmal gesehen? Gibt es Analogien?
- Was sichtbar geworden ist, muss im letzten Schritt auch anderen mitgeteilt werden – natürlich mit Bildern. Und hier stelle ich mir nun die Frage, welche Art von Bild angemessen ist, um meine Erkenntnisse meinem Publikum mitzuteilen und wie ich diesem Publikum meine Bilder am besten zugänglich mache.
Mir gefällt dieses Buch unter anderen auch deshalb, weil der Autor sich nicht auf den vierten Schritt beschränkt, sondern einen soliden Boden legt. So wird der Ansatz zu einer kleinen und unterhaltsamen Denkschule, die anregt, neue Wege des Beobachtens, Analysierens und Entwickelns zu erkunden. Die Anwendungsgebiete scheinen mir sehr vielfältig zu sein, jedenfalls sicher nicht auf die Welt des Managements beschränkt, aus der Roam die meisten seiner ausführlichen Beispiele bezieht. Bei aller Breite des Anfahrtsweges steht das Bildermachen natürlich im Zentrum, und hier bietet Dan Roam mit einer Fülle von praktischen Tipps auch dem bisher wenig zeichnerisch aktiven Leser Hilfe und Motivation zum Sprung über den eigenen Schatten. Sein Buch richtet sich übrigens ganz ausdrücklich gerade auch an Menschen, die sich selbst als “wenig visuell” beschreiben würden. Bei dieser Form der Arbeit mit Bildern geht es nicht um die Produktion von Kunstwerken, sondern um den gezielten und wirkungsvollen Einsatz illustrierender Elemente in der Kommunikation (speziell in Präsentationen).
Natürlich kann ich hier nur einen bruchstückhaften und recht abstrakten Einblick geben. Dan Roam hat sein Buch mit vielen Beispielen aus der Praxis angereichert – und natürlich mit zahlreichen Illustrationen, ist ja klar.
Update: Dan Roam hat mir per E-Mail mitgeteilt, dass das Erscheinen der deutschen Ausgabe von The Back of the Napkin noch für dieses Jahr geplant ist. Ich werde informieren, sobald ich mehr weiss.
[…] ich letzten September hier das Buch The Back of the Napkin von Dan Roam vorstellte, musste ich noch bedauern, dass es nur in Englisch erhältlich war. Das ändert sich demnächst: […]