Letzte Woche bekam ich ein Mail, dessen Verfasser Mühe mit dem roten Faden bekundete. Er hatte einen Artikel zu schreiben, in dem er ein Projekt vorstellen sollte. Ich fand die Frage interessant, weil mir scheint, dass wir über den roten Faden meist aus der anderen Richtung nachdenken: Wir suchen ihn, wenn er bereits ausgelegt ist, beim Zuhören oder Lesen. Wenn alles stimmt, bleibt der rote Faden dann meist unbemerkt. Bemerkt wird viel eher seine Abwesenheit, wenn beim Gang durch den Text die Orientierung fehlt und das Hirn laufend damit beschäftigt ist Lücken zu füllen.
Dabei erleichtert die Frage nach dem roten Faden die Arbeit beim Schreiben sehr. Er dient dem Verfasser dann als Kompass, als Navigatoinshilfe an jeder Position im entstehenden Text. Für einen kurzen Text (oder eine kurze Rede) empfiehlt es sich, einen Satz zu formulieren, der die Botschaft auf den Punkt bringt. Dieser Satz, die Kernaussage also, dient dann als Eichmass. Jeder Satz wird daran gemessen.
Gehen wir von der Vorgabe aus, einen Artikel über soziale Netzwerke im Internet zu schreiben, über Angebote wie studivz, myspace, facebook, xing usw. Nun gibt es natürlich 1001 Möglichkeiten, welche Aspekte dieses weiten Themas ich in meinem Text beleuchten könnte: Funktionen sozialer Netzwerke, technische oder juristische Aspekte, statistische Beobachtungen – oder ganz grundlegend: Was macht eine Online-Plattform zum sozialen Netzwerk? Auch verwandte Themen fallen mir dazu ein: Beinahe-Monopole im Internet, Datenschutz, Imagepflege, Vereinsamung im digitalen Zeitalter. Bei einer solchen Masse von Möglichkeiten und Ideen hilft nur eines: eine radikale Entscheidung. Diese treffe ich nun und formuliere sie in einem eindeutigen Aussagesatz:
Der Erfolg der sozialen Netzwerke im Internet zeigt, dass Menschen gerne miteinander kommunizieren.
Diese Kernaussage klingt fast zu simpel. Das stört mich aber überhaupt nicht, denn mein Text wird ja viele Facetten dieser Behauptung beleuchten, sie miteinander verknüpfen, Gründe präsentieren und auf diesem Weg solide informieren und überzeugen. Während ich schreibe, habe ich jedoch immer diesen einfachen und klaren Satz vor Augen, der mich daran erinnert, worum es mir geht. Wenn mich der Fluss meiner Gedanken nun in Richtung “technische Aspekte” drängt, dann genügt ein Blick auf den Kompass, der mich daran erinnert, dass diese Sätze meinem Ziel wahrscheinlich nicht dienen und daher den roten Faden stören könnten. So entsteht ein Text, bei dem jeder Gedanke auf dem roten Faden aufgezogen ist wie Perlen auf einer Schnur.
David Ruprecht meint
Grüess di Cla
Die Reduktion auf das Wesentliche oder wie es eben Nike sagt: Reduce to the Max(imum)! Das ist und bleibt so.
Nicht zentral und trotzdem spannend: der Ausdruck vom „roten Faden“ stammt von der britischen Marine, als sie noch das Welt-Empire vertrat. Etwa im 17. Jh. liess diese einen roten Faden in ihre Schiffstaue einbinden, damit sie ihre eigenen Seile wiedererkennen kann. Damals war ein Seil viel Wert und der Diebstahl davon weitverbreitet. Es gelang damit, die Diebstahlrate deutlich zu senken und gleichzeitig setzte die Marine sicher unbewusst den Grund für eine sprichwörtliche Versinnbildlichung.
Liebi Grüess und Sägenswünsch
david