Wer redet oder schreibt, will in der Regel überzeugen. Besonders gilt das dann, wenn eine umstrittene Sache so präsentiert werden soll, dass sie am Ende nicht mehr umstritten ist. Zum Beispiel beim Computerkauf, bei dem der Verkäufer mich trotz anfänglichen Widerstandes davon überzeugt, dass das teurere Modell für mich das bessere ist.
Eine erfolgreiche Argumentation führt somit von Uneinigkeit zu Einigkeit. Dies gelingt jedoch nicht immer, wobei oft nicht so recht klar werden will, woran die Sache gescheitert ist. Deshalb kann es hilfreich sein, sich die Struktur einer Argumentation vor Augen zu führen, um ein Argument daran zu prüfen. (Ich weiss schon, das klingt sehr theoretisch. Ist es auch. Bleibt es aber nicht lange, versprochen. Und dass diese Form der Argumentation “Enthymem” heisst, ist auch nur für den Titel dieses Beitrages und für Google wichtig.)
Man kann sagen: In der Argumentation soll eine umstrittene Sache unstrittig gemacht werden. Dazu wird sie entweder gestützt oder widerlegt. Um dieses Ziel zu erreichen, setzt der Sprecher weitere Aussagen ein, die jedoch unbestritten sein müssen. Ein Beispiel:
Peter behauptet: “Ich spiele gut Cello.” Da bin ich mir aber nicht so sicher. Ich bestreite diese Aussage, sie ist für mich eine reine Behauptung. Um mich zu überzeugen, muss Peter mir nun ein Argument servieren, das von uns beiden unbestritten ist. Er sagt: “Ich spiele im Orchester der Tonhalle.” Auch mir ist klar, dass im Orchester der Tonhalle nicht einfach jeder mitspielen kann, der weiss, wo beim Cello oben und unten ist . In der Tonhalle spielen nur sehr gute Musiker. Ich bin überzeugt: Peter muss wirklich sehr gut Cello spielen.
(Dieses Beispiel ist inspiriert von Clemens Ottmers’ ausgezeichneter wissenschaftlicher Einführung in die Rhetorik.)
Der entscheidende Punkt ist dieser Satz, der sich hinter dem Argument verbirgt, aber nicht ausgesprochen wird: Im Orchester der Tonhalle spielen nur sehr gute Musiker. Die Argumentationstheorie nennt einen solchen Satz eine Schlussregel und von ihr hängt das Gelingen der Argumentation ab. Die Schlussregel muss unbestritten, auch vom Argumentationsgegner akzeptiert sein.
Umgekehrt ist das Scheitern einer Argumentation oft Resultat einer unpassenden Schlussregel. Konkret bedeutet das: Der Sprecher baut sein Argument auf einer Schlussregel auf, die von seinem Gegenüber nicht akzeptiert wird und die somit genauso umstritten ist wie der Streitpunkt selbst. Damit kommt die Argumentation nicht vom Fleck, im Gegenteil. Das Streitgespräch verlagert sich – oft unbemerkt – auf eine andere Ebene. Man diskutiert dann zwar noch den ursprünglichen Streitpunkt, wird aber blockiert von einer tiefer liegenden und unausgesprochenen Differenz im Bezug auf die Argumentation. Ein Beispiel aus der Theologie:
Ich erlebe immer wieder Diskussionen, die sich um Glaubensfragen drehen. (Ja, “drehen” ist hier tatsächlich das passende Wort.) Oft wird dabei mit der Bibel argumentiert. Die zugrundeliegende Schlussregel lautet: “Was in der Bibel steht, stimmt.” Diese Schlussregel ist aber nicht allgemein anerkannt. Es gibt viele Menschen, die gar nicht davon überzeugt sind, dass einfach stimmt, was in der Bibel steht. So entsteht die Situation, dass auf der Oberfläche zum Beispiel darüber diskutiert wird, ob Gott wirklich als Mensch Jesus von Nazareth auf der Erde lebte, der eigentliche Streitpunkt aber darin besteht, dass man massiv unterschiedliche Vorstellungen von der Zuverlässigkeit der Bibel hat.
Wer überzeugend und fair (das heisst, für das Gegenüber nachvollziehbar) argumentieren will, kommt deshalb nicht darum herum, sich Argumente zurechtzulegen, die auf wirksamen, also allseits akzeptierten Schlussregeln beruhen – selbst wenn das bedeutet, die eigenen Lieblingsargumente beiseitezulegen. Wer überzeugend und fair argumentieren will, muss sich in sein Gegenüber hineinversetzen, muss den Dialog suchen, muss bereit sein, die eigenen Überlegungen in eine Argumentation zu übersetzen, die verstanden werden kann.
Jonas Stutz-Kopetschny meint
Lieber Cla,
Danke für diesen Artikel. Er lehrt mich, ab jetzt effektiver und abgewogen zu argumentieren. Eine leere Behauptung? Dann stellte ich diese Frage wohl kaum…
Mit einem Lieben Gruss,
Jonas