Aus dem fernen Kiew hat mich vor zwei Tagen ein Mail meiner Schwägerin erreicht. Es enthielt unter anderem auch sprachlich Bedenkenswertes:
Und zum Abschluss schicke ich dir noch einen Gedanken zu meinem Büropostfach, in dem ich vor einigen Wochen eine Nachricht mit der Bitte um „zeitnahe“ Antwort fand. Dieses Wort ist mir schon öfters untergekommen und wirkt auf mich sicher nicht beschleunigend, es stimmt eher nachdenklich. Leben wir etwa in einem Vakuum oder abgetrennt von der Zeit, hasten wir der Zeit tatsächlich andauernd hinterher oder sind ihr voraus? Können wir die Distanz zur Zeit beeinflussen?
Ich muss zugeben, dass mir das Wort zeitnah überhaupt nicht geläufig ist. Das liegt wohl am schweizerischen Umfeld, denn auch ich lebe durchaus in einer Welt, in der man es oft eilig hat. Und genau darum scheint es bei zeitnah zu gehen. Die Bedeutung des Wortes ist also immerhin recht schnell – zeitnah eben – zu erfassen. Abgesehen davon beschleicht jedoch auch mich Unbehagen bei der Vorstellung, um eine zeitnahe Antwort gebeten zu werden. Das Wort wirkt auf mich unsympathisch und steril – und dies nicht nur, weil seine Bauweise etwas irritiert. (Nahe an der Zeit? An welcher Zeit denn?)
Erstens weckt es mein Misstrauen. Warum kann man nicht baldig sagen? Oder schnell? Was ist denn an diesen Wörtern nicht mehr gut genug? Welcher Unterschied besteht zwischen folgenden zwei Sätzen:
- Ich bitte Sie um eine schnelle Antwort.
- Ich bitte Sie um eine zeitnahe Antwort.
Bei 2 habe ich den Eindruck, dass der Verfasser zwar schnell meint, das Wort aber nicht verwenden will. Vielleicht scheint es ihm zu direkt, und er hat Angst, unhöflich zu wirken. Dabei ist unsere Sprache doch genau dafür da: Sie hilft uns zu sagen, was wir meinen. Und da ist der direkte Weg meist der ehrlichste. Ein solcher Satz steht ja auch in einem Kontext, welcher deutlich macht, wie höflich oder unhöflich eine Aussage gemeint ist.
Zweitens klingt zeitnah für mich nach typischem Bürokratenjargon, der von Wörtern und Formulierungen strotzt, die nach mehr klingen als sie bedeuten. Auf den ersten Blick erwecken sie den Eindruck, dass sich jemand ganz besonders gewählt und gehoben auszudrücken weiss. Dabei verbirgt sich hinter diesen Blähformulierungen nicht mehr als ein in heisse Luft gehülltes einfacheres Wort. Das unsympathische Zeitnah ist ein klares, sauberes Schnell mit einem Minderwertigkeitskomplex. Leider erzielen diese aufgeblasenen Formulierungen jedoch oft die gewünschte Wirkung: Sie machen Eindruck. Gleichzeitig vermitteln sie ein Gefühl von Distanz. Satz 1 von oben ist nicht nur klarer und mit weniger Aufwand zu verstehen, er gibt mir auch das Gefühl, dass der Verfasser mir näher steht als jener von Satz 2. Das künstlich wirkende zeitnah rückt den Verfasser (und damit auch sein Anliegen) in die Ferne. Den gleichen Effekt stellte ich vorhin beim Radiohören fest, als eine Sprecherin der Polizei vom “grossen Verkehrsaufkommen” redete. Warum sagt sie nicht einfach “viel Verkehr”? Ich vermute, um ihren Expertenstatus zu unterstreichen und den Eindruck zu vermitteln, dass sie weiss, wovon sie spricht. Im Gegensatz zum Zuhörer.
Der deutsche Psychologie Friedemann Schulz von Thun beschreibt in seinem Klassiker Miteinander reden, Band 1 ausführlich die distanzierende Wirkung gewisser Formulierungen (er nennt dies “Imponier-“ und “Fassadentechniken”), welche sowohl bewusst wie auch unbewusst eingesetzt werden. Seine Ausführungen helfen dabei, die eigene Sprache deutlicher wahrzunehmen und so zu gestalten, dass das geschieht, was geschehen soll, wenn Menschen miteinander ins Gespräch kommen: eine Annäherung.
Heinz Röthlisberger meint
Toller Artikel, Cla! Du beschreibst präzis
a) was ich beim Lesen von Briefen/Texten manchmal fühle und
b) wessen ich mich gelegentlich selber schuldig mache…
Auch wenn’s mein erster Kommentar ist: Lesen tu ich deinen Blog stets mit Gewinn und oft mit einem Schmunzeln.
Heinz Röthlisberger
Rahel meint
Nach einem Tag hinter Büchern, deren Texte mich nicht besonders inspirierten, klicke ich kurz auf deinen Blog und bereits ist er da, der Satz, der all die gelesenen und farblosen Sätze eindeutig in den Schatten stellt und mein Gemüt erhellt:
„Das unsympathische Zeitnah ist ein klares, sauberes Schnell mit einem Minderwertigkeitskomplex.“
Jetzt wäre nur noch die Frage, ob das Wort ‚Schnell‘ einen Minderwertigkeitskomplex hat oder derjenige, der es mit ‚zeitnah‘ umschrieben hat?
Lieber Gruss und danke für deine kreativen Gedanken, Rahel