Das Wissensmagazin “Einstein” auf SF (Schweizer Fernsehen) hat gestern einen brisanten Bericht ausgestrahlt. Ich halte mich bei der Beschreibung kurz und integriere unten das Video (Dauer: 7:27): Die beiden Parteipräsidenten Christian Levrat (SP) und Toni Brunner (SVP) lasen vor der Kamera eine Erklärung über Massnahmen gegen die steigende Kriminalität in der Schweiz vor. Beide lasen den gleichen Text, der von der CVP (!) stammte, in beiden Fällen also höchstens teilweise auf der Parteilinie lag.
Die Videos wurden dann je 100-mal einzelnen Passanten vorgeführt. Jede Person sah dabei nur eine der Stellungnahmen und musste diese dann beurteilen. Gefragt wurde, ob die Aussagen typisch für Levrat (respektive Brunner) seien, eher rechts oder links einzuordnen, konservativ oder progressiv. Das verblüffende Resultat: Die CVP-Massnahmen aus dem Mund von Christian Levrat wurden als progressiv und typisch SP eingeschätzt, während sie von Toni Brunner kommend als konservativ und SVP-mässig beurteilt wurden.
Wieder einmal zeigt sich: Wir nehmen die Welt so wahr, wie sie uns in den Kram passt. Der Kram sind in diesem Fall unsere vorgefassten Meinungen. Die unsichtbare Brille, die wir tragen, sorgt dafür, dass einmal gefällte (Vor-)Urteile immer wieder bestätigt werden, denn Hinterfragen ist anstrengend. Aber ich will hier nicht fatalistische Trübsal blasen, sondern vielmehr Lust machen, über die eigene Brille nachzudenken und den Horizont auch einmal aus ungewohnter und vielleicht unbequemer Richtung weiten zu lassen.
Tobias Lampert meint
Interessantes Experiment – und so einfach! Werde heute einmal auf meine imaginäre Brille achtgeben.
Andika meint
Finde ich auch interessant. Bringt mir gerade die Erinnerungen an andere spannende Experimente der Sozialspychologie, über die wir damals an der Uni gelernt haben. Ausser unsere Brille spielt aber die Ausstrahlung (Metakommunikation) der Vortragenden eine sehr wichtige Rolle. Auch nach meiner persönliche Erfahrung nemhen wir es viel intensiver wahr, als das was gesagt worden ist.
Cla Gleiser meint
Danke für den Hinweis, Andika. Eigentlich ist das ja ein gesunder Gedanke, dass wir einander so ganzheitlich wahrnehmen. Problematisch kann höchstes der Aspekt werden, dass die Metakommunikation weniger bewusst abläuft als die verbale. Herzlicher Gruss!
Mäteler meint
Ein weiterer Faktor, den man zu untersuchen hätte, wäre der, ob diese Probanten überhaupt politisch genügend aufgeklärt und informiert wären um diesen Test zu bestehen. Ich glaube, dass viele Menschen wenig oder gar keine Ahnung von Politik haben und knapp wissen, dass Brunner eher rechts einzuordnen wäre und sich deshalb für rechts entscheiden. Diese Vermutung löst sich aber beim zweiten Teil des Tests in Luft auf 🙂 Ist krass wie wir auf die Verpackung schauen. Gott sei dank sieht unser Vater im Himmel ins Herz und nicht auf „die Verpackung“ (1. Sam 16, 7)! Guter Beitrag, danke.