Nachdem ich nun viel Material gesammelt habe, besteht die Herausforderung darin, es in eine sinnvolle Ordnung zu bringen. Dieser zweite Arbeitsschritt auf dem Weg zur Rede wird klassisch dispositio genannt, und da klingt natürlich unsere Disposition an. Da ich über die Gliederung der Gedanken vor einigen Monaten bereits eine Artikelreihe veröffentlicht habe, möchte ich mich heute auf das Grundsätzliche konzentrieren. Der Schritt aus der inventio in die dispositio macht klar, dass die klassische Unterteilung in 5 Arbeitsschritte als Hilfe zu verstehen ist, die der Realität nur unvollkommen entspricht. Besonders diese ersten beiden Schritte sind eng miteinander verbunden. Eine gewisse Ordnungsarbeit wird bereits beim Sammeln geleistet (wenn auch nur im Kopf), und das Erstellen der Gliederung wird Löcher in den Gedanken sichtbar machen, die gestopft werden müssen – und zwar durch erneutes Sammeln.
Als Grundlage für die Gliederung einer Rede dient das einfache Schema, das auf die antike Gerichtsrede zurückgeht:
- Einleitung (exordium)
- Erzählung (narratio)
- Beweisführung (argumentatio)
- Schluss (peroratio)
In früheren Beiträgen habe ich bereits darüber geschrieben, wie wichtig Gliederungen sind und wie man sie erstellen kann. Dort ging es vor allem um den Hauptteil der Rede, der hier aus Erzählung und Beweisführung besteht, den man aber natürlich auch ganz anders aufbauen kann. Heute stehen Anfang und Schluss einer Rede im Mittelpunkt, die auf den ersten Blick vielleicht unscheinbar wirken und im Umfang natürlich auch weit weniger gewichtig sind als der Hauptteil. Doch täuschen wir uns nicht. Besonders der Redeanfang entscheidet über Sieg oder Niederlage des Redners.
Anfang (exordium)
Logisch eigentlich, dass der Anfang entscheidend ist. Einen ersten Eindruck kann man nur einmal machen, und man macht ihn am Anfang. Hier entscheidet der Zuhörer, ob er mitkommen will oder nicht. Die klassische Rhetorik beschreibt drei Aufgaben, die der Redner in dieser ersten und entscheidenden Phase zu erfüllen hat. Er muss
- Interesse für sein Thema wecken, damit die Zuhörer neugierig und aufnahmebereit werden.
- das Wohlwollen der Zuhörer gewinnen, damit sie bereit sind, ihm – und gerade ihm – zuzuhören.
- den Hauptteil inhaltlich vorbereiten, also ins Thema einführen.
Punkt 3 ist einigermassen offensichtlich, dafür ist eine Einführung da. Er scheint mir von den dreien aber der unwichtigste. Ich kann durchaus eine faszinierende Rede aufbauen, ohne eingangs davon zu sprechen, was ich im Detail vorhabe. Viel entscheidender ist, dass ich die Zuhörer für mich und mein Thema faszinieren kann. Und leider geschieht das in der Regel nicht automatisch. Natürlich ist es schön, wenn ein Redner von seinem Thema begeistert ist. Es ist aber ein Irrtum, zu glauben: “Meine Materie ist so spannend – die spricht für sich.” Das Interesse der Zuhörer will geweckt werden – zum Beispiel durch eine unwiderstehlich spannende Frage zum Thema. Damit ist dann allenfalls auch gleich der Hauptteil vorbereitet. Doch nicht nur sein Thema, auch sich selbst muss der Redner ins beste Licht stellen. Wie wichtig das ist, zeigt die einfache Kontrollfrage: “Wem höre ich gerne zu?” Die Antwort auf diese Frage enthält wichtige Hinweise für die Gestaltung des Einstiegs in die eigene Rede. Für diese Selbstdarstellung gibt es tausend Wege – und einmal mehr hängt die Entscheidung eng damit zusammen, wer meine Zuhörer sind. Während bei einem Publikum schon eine freundliche Begrüssung reicht, ist es bei einem anderen wichtig zu unterstreichen, warum ich zu diesem Thema überhaupt etwas zu sagen habe. Die Betonung der eigenen Fachkompetenz kann bei wieder anderen aber den genau gegenteiligen Effekt haben, wenn sie sich denken: “Meine Güte, wieder so ein abgehobener Fachidiot, der keine Ahnung vom Leben hat.” Es lohnt sich also, schon früh in der Vorbereitung die Frage zu beantworten: “Wie kann ich bei diesem Publikum landen?”
Schluss (peroratio)
Aus klassischer Perspektive hat der Redner am Schluss noch zwei Dinge zu tun:
- Zusammenfassung
- Affekterregung
Das klingt dramatisch. Doch Affekterregung heisst letztlich nichts anderes als den Zuhörern nochmals ordentlich einzuheizen. Es kann ja nicht in meinem Interesse sein, das sie nach meiner Rede gleichgültig dasitzen und den Dreck unter den Fingernägeln hervorkratzen. Der Redeschluss ist meine letzte Chance, einen emotionalen Impuls zu setzen, der nachklingt. Der eine oder andere Zuhörer darf darüber gerne auch am Abend noch nachdenken, wenn er im Bett liegt und auf den Schlaf wartet. Wenn die Rede abgeschlossen ist, ist sie abgeschlossen. Dann gebe ich das Publikum wieder aus der Hand. Je länger der letzte Impuls daher nachklingt, desto besser.
Mit der Zusammenfassung am Schluss biete ich dem Hörer nochmals die weite Perspektive über meine Gedanken. Das war ja jetzt eigentlich alles ein bisschen viel für ihn. Keiner kann sich an alle Punkte eines halbstündigen Referates erinnern. So helfe ich gerne, damit auch sicher das im Gedächtnis bleibt, was mir am wichtigsten ist. Ein positiver Nebeneffekt davon ist, dass ich mir diese Frage selbst auch stellen muss (natürlich bereits in der Vorbereitung!). Das hilft beim Fokussieren.
Zwei Punkte zum Redeschluss möchte ich noch ergänzen. Erstens schliesse ich in der Regel am Ende einer Rede einen Kreis. Das heisst, ich komme irgendwie wieder auf den Anfang zurück. Das kann geschehen, indem ich
- eine Frage beantworte, die ich am Anfang gestellt habe.
- eine Geschichte wieder aufnehme, mit der ich das Referat eingeführt habe.
- eine besonders einprägsame Formulierung wiederhole, mit der ich am Anfang einen Akzent gesetzt habe.
Dadurch bekommt der Zuhörer ein Gefühl von “rundem Abschluss“. Und damit bin ich bereits beim zweiten Punkt: Bitte nur ein Schluss! Sobald der Redner den Schluss angekündigt hat, muss der Schluss auch kommen, und ich würde sagen: innerhalb von maximal 3 Minuten. Eine Ankündigung des Schlusses kann ausdrücklich (“Ich komme zum Schluss”) oder auch ganz beiläufig geschehen, da reicht oft schon ein entsprechend betontes Also. Ich muss daher darauf achten, dass mir dieses Also nicht einfach so herausrutscht und den Zuhörern ein falsches Gefühl von Zuspitzung auf das Ende hin vermittelt. Das ist mit ein Grund, weshalb der Schluss (wie auch der Anfang) besonders gründlich vorbereitet werden muss. Es gibt kaum etwas Schmerzhafteres als ein ausgefranstes Redeende: Man spürt, dass der Redner eigentlich am Schluss (oder am Ende) ist, doch er weiss nicht genau, wie er jetzt genau aufhören soll. Vielleicht ist er auch unsicher, ob er genügend klar betont hat, was ihm wichtig ist. Und dann redet er weiter. Und mit jedem Wort und mit jedem Satz wird es schlimmer und schmerzhafter. Er findet sie einfach nicht: die Formulierung, die würdig ist, den unwiderruflichen Schlusspunkt unter seine Ausführungen zu setzen. Eine solche Formulierung fällt einem in der Regel auch nicht beim Reden zu. Sie muss vorbereitet sein. Und wenn die Vorbereitung stimmt, setzt man diesen Punkt im richtigen Moment. Entschlossen. Endgültig.
Und das war’s dann.
[…] Redner her betrachtet ist nach Schritt 2 (dispositio) der schwerste Teil der Arbeit geschafft. Von aussen gesehen sieht es anders aus: Jetzt (erst) […]