Ex-Miss Whitney Toyloy hat nach der Annahme des Minarett-Verbotes die SVP als „Union der Vollidioten“ bezeichnet. Diese politisch nicht ganz korrekte Äusserung hat für einigen Wirbel gesorgt. Manche und mancher fühlte sich als Anhänger dieser Union (SVP, nicht Vollidioten) direkt betroffen. Nun hat Whitney Toyloy sich entschuldigt.
Wirklich.
Gemäss 20 Minuten (7. Dezember 09) soll sie gesagt haben:
Ich bin mir heute bewusst, dass ich die Gefühle von unbescholtenen Bürgern verletzt habe, und entschuldige mich hierfür.
Das nenne ich eine Entschuldigung! Um den Inhalt geht es mir übrigens überhaupt nicht, auch nicht darum, wer sich bei wem für was zu entschuldigen hatte (oder nicht). Ich gebe hier keine politische Stellungnahme ab – ausser der, dass öffentliche Entschuldigungen in der fast ausnahmslosen Regel überhaupt keine sind. Da heisst es meistens:
Wenn ich mit meiner Äusserung jemanden verletzt habe, dann tut mir das leid.
Das ist keine Entschuldigung. Das ist eine blutleere Nullaussage mit der Absicht, durch Augenwischerei einen Fehler gutzumachen, ohne ihn zuzugeben. In einem solchen Pseudo-Eingeständnis steckt ja auch die (nur spärlich) verhüllte Unterstellung: „Eigentlich seid ihr selbst Schuld, dass ihr mich falsch verstanden habt.“
In einer Entschuldigung hat ein Bedingungssatz nichts verloren. Entweder habe ich einen Fehler eingesehen oder nicht. Wenn ich ihn eingesehen habe, dann muss ich ihn auch benennen (wie Frau Toyloy) und dann um Entschuldigung bitten (wie Frau Toyloy).
Und dann noch dies: Ist es nicht schön, dass wir uns überhaupt entschuldigen können? Wie ein Radiergummi für die Seele kommt mir das vor.
Tobias Lampert meint
In der Tat eine Seltenheit in diesen Zeiten, daß ein Schuldeingeständnis ohne Wenn und Aber vorgetragen wird!
Bleibt dennoch zu erwähnen, daß es im Grunde zumindest eine sprachliche Unart, wenn nicht eine Unart insgesamt darstellt, sich selbst für etwas zu entschuldigen, statt um Entschuldigung zu bitten – als sei auf zwischenmenschlicher Ebene die Befreiung von tatsächlich bestehender Schuld nicht vom guten Willen desjenigen abhängig, an dem man schuldig geworden ist!
Cla Gleiser meint
Hi Tobias
Du hast natürlich völlig recht. Danke für den Hinweis. Tatsächlich scheint mir diese Nuance entscheidend dafür, wenn es bei einer Entschuldigung darum geht, eine Beziehung zu klären. Wenn ich „um Entschuldigung bitte“, dann geht es um mein Gegenüber und um mich. Wenn ich „mich entschuldige“, kann das wohl auch der Fall sein; allenfalls steht aber auch die Beziehung zu mir selbst im Vordergrund. Ich entschudlige mich dann, um kein schlechtes Gewissen mehr zu haben.
Aber immerhin ist die Selbst-Entschuldigung mit ehrlichem Eingeständnis meistens doch ein Schritt in eine gute Richtung.
Tobias Lampert meint
Volle Zustimmung!
Abgesehen davon glaube ich, der Umstand, daß heute meist nicht mehr ausdrücklich um Entschuldigung gebeten, sondern dem Wortlaut nach versucht wird, sich selbst zu entschuldigen, hat noch einen tieferen Hintergrund. Eine säkulare Gesellschaft weiß mit der Kategorie der „Schuld“ jenseits des Strafrechts nichts mehr anzufangen. Was nicht gesetzlich verboten ist und somit auch keine klar definierte Strafe nach sich ziehen kann, kann so „falsch“ ja nicht sein.
Es mag aufgrund der Nachwehen des Christentums noch ein mehr oder weniger vages Gespür dafür da sein, was sich gehört und was nicht, was zwischenmenschliche Beziehungen belasten und zerstören kann – aber je mehr Glaube und Religion ins Private abgeschoben werden, desto mehr schwindet dieses Gespür in der Öffentlichkeit. Die Sprache ist dann oft der erste kulturelle Ausdruck, der das sichtbar werden läßt. Man könnte auch sagen, die Sprache erleidet als erstes so etwas wie einen Transzendenzverlust.
Insofern stellt sich die Frage, ob es keine atheistische oder auch „nur“ agnostische Ethik gibt, die so tragfähig und überzeugend ist, daß sie (aufs Ganze der Gesellschaft gesehen) den geschärften Blick für die Verletzbarkeit menschlichen Zusammenlebens auf ähnliche Weise bewahren kann. (Meine Antwort dazu ist: „Nein, gibt es nicht!“)
Cla Gleiser meint
@Tobias
Danke für deine anregende Reaktion. Ich zögere etwas, die Sache ebenso trüb zu sehen. Aber mir fehlt ehrlich gesagt die Grundlage dafür, das allgemeine Schuldempfinden beurteilen zu können. Sicher ist jedoch, dass du hier auf einen ganz zentralen Aspekt hinweist. Und der Umstand, dass zwei Menschen, zwischen denen Schuld entsteht, in der Regel ja auch kein exakt deckungsgleiches Schuldempfinden haben, macht die Angelegenheit nicht einfacher. Was der eine als Verletzung beurteilt und empfindet, liegt für den anderen vielleicht noch längst im grünen Bereich. Das kann dazu führen, dass ich mich entschuldigen muss, ohne mich schuldig zu fühlen. Oder dass ich mich entschuldige, obwohl sich niemand von mir verletzt fühlt.
Matthias Wuttke meint
Hoi Cla
Ihr macht das ja interessante Feststellungen! So will ich auch noch meinen „Senf“ dazu geben.
Die Aussage „Entschuldigen Sie bitte“ beinhaltet aus meiner Sicht folgende Faktoren:
– Ich BIN SCHULDIG!
– Ich bitte meinen Gegenüber die Schuld von mir zu nehmen (mich zu „Ent-Schuldigen“,
mir meine Schuld nicht anzurechnen!).
Darum kann ICH mich gar nicht „Ent-Schuldigen“, ich kann mich mir Schuldig bekennen und mein gegenüber bitten, mit meine Schuld nicht anzurechnen.
Zusatzbemerkung:
– Wo sind wir in Bezug auf Moslems schuldig geworden?
– Haben wir da etwas „verpasst“ oder sind wir schuldig geworden,
weil wir unsere „Nachbarn“ gar nicht beachtet haben?
– Wie könnte unsere „Ent-Schuldigung“ aus sehen?
(Das lässt sich wohl kaum einfach in ein paar „Ent-Schuldigenden“ Worten fassen!)
– In welcher Beziehung stehen nun die beiden „Gesprächspartner“?
Gerade im letzten Punkt sehe ich ein grosses, kulturelles Problem. Dort prallen oft
unsere Gerechtigkeitskultur (Griechisch) auf die Schamkultur (Arabisch), nicht weil wir
diese Kulturen so streng praktizieren würden, sondern weil wir die Differenz zwischen
unserem „Sein“ zu unserer eigene Kultur oft einfach „ausgleichen“.
Cla Gleiser meint
Hallo Matthias
Jetzt wird’s brisant! Elegant, wie du den Bogen zur aktuellen Lage in der Schweiz schlägst. Und um das Thema wieder auf die abstrakte sprachliche Ebene zu wuchten: Ich bin ganz einverstanden, dass ein paar „ent-schuldigende“ Worte oft nicht reichen. Und doch sind die Worte wichtig. Immer wieder, so scheint mir, wird nämlich die ausgesprochene Entschuldigung mit einem Verhalten umschifft, das einen Fehler aufwägen soll. Eine Schachtel Pralinen ist aber nun einmal kein Ersatz für ein „Es tut mir leid“. (Ich weiss schon, das wolltest du auch gar nicht sagen. Aber meine Aufgabe hier ist es halt, die Bedeutung von Wörtern zu unterstreichen…)
Tobias Lampert meint
Hallo Cla!
Hmm, so „trüb“ sollte es sich gar nicht anhören. 🙂 Ich kann und will mir nicht anmaßen, das Schuldempfinden jedes einzelnen beurteilen zu können. Das kann ich nicht, das steht mir nicht zu. Aber es fällt doch durchaus auf, wie gerade in der Sprache der Begriff der Schuld und die damit zusammenhängenen Ausdrucksweisen sich nach und nach wandeln. Ich glaube schon, daß die Sprache als eine Art „Spiegel“ für tieferliegende Schichten auch eines „Kollektivbewußtseins“ dient. Bleibt die Frage, ob ich mit meiner „Analyse“ oben die Gründe für diesen Wandel richtig benannt habe, oder ob dieser Blick nicht vielleicht auch zu einseitig ist. Ich finde das jedenfalls eine spannende Frage.
Cla Gleiser meint
Völlig einverstanden. Ich wäre der Letzte, der bestreiten würde, dass die sprachliche Entwicklung Rückschlüsse auf tiefer liegende Entwicklungen zulässt.
Und natürlich wollte ich dir keine trübe Sicht unterstellen… 😉
Tobias Lampert meint
Naja, auch ich habe so meine trüben Momente! 😀
Heinz meint
…und ich dachte, ich verfolge jeden deiner Beiträge, Cla. Irrtum. Diesen hier habe ich vor Monaten glatt verpasst, daher jetzt noch mein Spätsenf:
Die Unterscheidung zwischen Entschuldigungen mit und ohne Bedingungen bzw. zwischen „ich bitte um E.“ und „ich e. mich“ (siehe Kommentare) ist für mich sekundär. Viel wichtiger erscheint mir die Frage: Wofür ganz genau bitte ich um Entschuldigung? Ist es für etwas, das wirklich in meiner Verantwortung liegt oder nicht? Im Fall von Frau Toyloy: sie entschuldigt sich dafür, dass sie Gefühle Menschen verletzt. Nun ist es aber (psychologisch gesehen) jedem Menschen überlassen, ob er sich von einer Äusserung (wie blöd oder klug auch immer sie gewesen sein mag) verletzen lassen will oder nicht. Ergo: Nein, auch Frau Toyloy hat sich nicht wirklich entschuldigt. Sie kann ihren Entschuldigunssatz absolut ernst meinen, ohne innerlich auch nur ein Wort zu bedauern, das sie gesagt hat. Echt wäre, wenn sie sich für ihre ungerechtfertigt pauschale Äusserung, und/oder ihren missglückten Humor (Union der Vollidioten hat in französich dieselbe Abkürzung wie die SVP) entschuldigen würde. Bei mir persönlich macht dies (so spitzfindig es für andere wirken mag) einen grossen Unterschied: Ich möchte, wenn ich mich entschuldige, für etwas entschuldigen, was bei mir geschehen ist, nicht beim anderen. Das mit den verletzten Gefühlen kann ich immer noch optional hinten anfügen.
Cla Gleiser meint
Ich bin nicht ganz sicher, ob ich dir folgen kann, aber wenn ich den Entschuldigunssatz lese, dann habe ich schon den Eindruck, echtes Bedauern herauszuhören. Natürlich wäre das noch klarer, wenn Frau Toyloy explizit ihren Fehltritt bedauert hätte, das stimmt. Andererseits: Dass es jedem Menschen überlassen sei, ob er sich von einer Äusserung verletzen lassen will, halte ich für reine Theorie. Schön wär’s, wenn ich so über den Dingen stehen würde. Meistens tue ich das aber nicht, und dann hilft eine Entschuldigung entlang der Linie, die wir hier sehen, immerhin ein bisschen weiter.