Der Engländer Charles Dickens (1812 – 1870) gehört zu den bedeutendsten Autoren der Literaturgeschichte. Sein wohl populärster Roman „Oliver Twist“ wie auch viele andere seiner Geschichten sind nicht zuletzt dank regelmässiger Verarbeitungen für Kino und Fernsehen nach wie vor präsent. Und Weihnachten ist immer auch ein bisschen Dickens-Zeit, weil auf vielen Fernsehkanälen eine der zahlreichen Verfilmungen seiner berühmten Erzählung A Christmas Carol (deutsch Eine Weihnachtsgeschichte oder auch Weihnachtslied) ausgestrahlt wird.
A Christmas Carol erzählt die Geschichte des griesgrämigen und verbitterten Ebenezer Scrooge. (Diese Schöpfung von Dickens wurde so berühmt, dass ihr Name es in den englischen Wortschatz und ins Wörterbuch schaffte als allgemeine Bezeichnung für einen bitteren bösartigen Zeitgenossen.) Scrooge hasst Weihnachten und lässt das seine Umwelt gerne und deutlich spüren. Dann aber wird er in der Nacht von drei Geistern heimgesucht, die ihm lebensverändernde Einblicke gewähren: in eine vergangene, die gegenwärtige und eine zukünftige Weihnacht. Diese erschütternde Erfahrung läutert Scrooge quasi vom Saulus zum Paulus.
Als Dickens diese Geschichte 1843 schrieb, tat er dies mit der Feder und von Hand. Schreibmaschinen gab es noch nicht und Computer erst recht nicht. So entstand ein einziges Manuskript von A Christmas Carol, das heute in der Morgan Library in Manhattan aufbewahrt und jährlich um Weihnachten herum ausgestellt wird. Dann ist jeweils eine Seite zu sehen. Nun aber hat die New York Times das ganze Manuskript elektronisch zugänglich gemacht und gewährt damit einen faszinierenden Einblick in die Entstehungsgeschichte dieser – Geschichte.
Dickens hatte es mit der der Publikation ziemlich eilig. Erstens ist eine Weihnachtsgeschichte im Frühling schwer zu vermarkten und zweitens brauchte er dringend Geld. Seine Eile zeigt sich in einem Manuskript, das nicht ins Reine geschrieben wurde und daher reich an Korrekturen und Änderungen. Es gewährt deshalb einen tiefen Einblick in die Arbeitsweise dieses grossen Autors. Die Herausgeber haben einige Stellen des Manuskriptes kommentiert und weisen den Leser so auf speziell aufschlussreiche Passagen hin. So ist gleich auf der ersten Seite zu erfahren, dass Dickens eine Stelle strich, in der er sich negativ über die intellektuellen Fähigkeiten des Prinzen Hamlet äusserte. Offenbar erschien es ihm bei der Überarbeitung doch nicht angemessen, sich über eine so populäre Figur Shakespeares lustig zu machen.
In einer Zeit, in der kaum noch von Hand geschrieben wird, ist der Blick in ein 69-seitiges Manuskript befremdend und anziehend zugleich. Die präzise und regelmässige Handschrift, die Korrekturen als Zeugnisse eines kreativen Prozesses und schliesslich der erzählerische Reichtum – ich kann mich daran kaum sattsehen.
Den Volltext von A Christmas Carol gibt es hier auf Deutsch und hier oder hier auf Englisch. Auch verschiedene Hörbuchversionen (in unterschiedlicher Qualität) sind via Google leicht zu finden.
Frohe und gesegnete Weihnachtstage!
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