Missverständnisse gehören zur Kommunikation wie die übergekochte Milch in die Küche. Es kommt einfach vor. Manchmal haben solche Verdrehungen damit zu tun, dass einer besonders originell sein will und nicht sagt, was er meint, sondern das Gegenteil davon. So zum Beispiel:
Vielen Dank, dass du mir das Dossier „Kundenzufriedenheit“ herübergeschoben hast. Da ich chronisch zu wenig Arbeit habe, macht mich diese zusätzliche Herausforderung richtig glücklich.
Wenn der Empfänger dieser Nachricht den Biss nicht spürt, freut er sich womöglich aufrichtig mit seinem Kollegen und legt bereits die nächsten Dossiers in die Pipeline, um dessen Euphorie noch zu steigern.
Aus dieser grossen Not heraus wurde das SarcMark entwickelt. Es ist ein unansehnlicher Kringel mit einem Punkt in der Mitte und soll dazu dienen, sarkastische Äusserungen in E-Mails unmissverständlich als sarkastisch zu kennzeichnen.
Echt?
Genau das habe ich mich auch gefragt. Und jetzt muss ich anfügen: ja, ganz echt.
Bestimmt ist das die blödeste Idee, die mir in diesem (immerhin noch jungen) Jahr über den Weg geraten ist. Wozu, bitte schön, soll denn so etwas gut sein?
Eine erste Antwort ist einfach: Der frustrierte (weil ständig missverstandene) Spötter kann sich das SarcMark herunterladen und in den Zeichensatz seines Systems integrieren. Es kostet $ 1.99. Diese 1.99 sind die erste Antwort, wozu das Ding gut sein soll. (Es kommt halt darauf an, aus welcher Warte man die Lage beurteilt.)
Ansonsten sage ich ganz frei von Sarkasmus: „Unnötig“ ist der harmloseste Kommentar, der mir dazu einfällt. Oder dann: eine grandiose Idee! Weshalb ist nicht schon längst jemand darauf gekommen? Ich, zum Beispiel? (Am Ende dieses Satzes könnte ich nun das SarcMark setzen, damit auch wirklich jeder merkt …)
Sarkasmus ist eine besonders spitze Form der Ironie. Und darüber, dass Ironie tückisch sein kann, habe ich hier ja schon wiederholt geschrieben. (Ein Klick auf den Ironie-Tag unten führt zu den Artikeln.) Ironie ist ein rhetorisches Stilmittel, das effektvoll sein kann, dessen Einsatz aber ein beträchtliches Risiko mit sich bringt. Es ist das grösste Risiko überhaupt für jeden, der etwas mitteilen will: das Risiko, nicht verstanden zu werden.
Dasselbe gilt für den Sarkasmus. Ironie und Sarkasmus sind daher elitäre Kommunikationsmittel. Wer sie einsetzt, nimmt in Kauf, dass ein Teil seiner Zuhörer oder Leser die verdrehte Aussage nicht entschlüsselt und ihn daher (in dieser Teilaussage) nicht versteht. Das muss für die Gesamtbotschaft nicht tragisch sein, da sie den Gehalt einer ironischen Äusserung in der Regel auch unverschlüsselt enthält. Die wichtigsten Inhalte meiner Botschaft sage ich ja wiederholt.
Wer sich ironisch oder sarkastisch äussert, geht ein Risiko ein. Dieses Risiko ist Teil der Verwendung dieser Stilmittel – und ihre Wirkung hängt mit diesem Risiko zusammen. Eine sarkastische Äusserung, die mit einem speziellen Zeichen als sarkastisch markiert wird, verliert deshalb einen beträchtlichen Teil ihrer Wirkung. Wer also das Risiko scheut, falsch verstanden zu werden, sollte sich einfach bemühen, so zu reden und zu schreiben, dass dieses Risiko möglichst klein bleibt. Das bedeutet dann aber den Verzicht auf Ironie und Sarkasmus.
Das Leben ist schon hart.
Dieser Verzicht kann durchaus angemessen sein. Die leidige SarcMark-Geschichte wurde ja angeblich durch E-Mail-Missverständnisse ausgelöst. (Ich glaube eher, dass jemand Geld verdienen will, ohne zu arbeiten.) Und in einem E-Mail haben Ironie und Sarkasmus in der Regel tatsächlich nichts verloren. Das Risiko falsch verstanden zu werden scheint mir unverhältnismässig gross, weil ich keine Ahnung habe, wie mein Gegenüber reagiert. Ironische Bemerkungen in E-Mails kommen für mich daher nur bei einer kleinen Schar von Kontakten in Frage. Das sind Menschen, die mich gut genug kennen, um den Code zu entschlüsseln oder bei denen ich immerhin weiss, dass sie nachfragen, wenn sie bei einer Formulierung unsicher sind. In jedem Fall gilt: Die Verantwortung für eine Kommunikation, die wegen Ironie oder Sarkasmus fehlgeleitet wurde, liegt zu 100% beim Sender und zu 0% beim Leser oder Hörer. Wer das Risiko eingeht, hat auch die Konsequenzen zu tragen.
Angemessener können Ironie und Sarkasmus dort sein, wo sich Dialogpartner direkt gegenüberstehen; in einem persönlichen Gespräch also – oder in einer klassischen Redesituation. Der Redner beobachtet sein Publikum ja ganz genau und ist damit auch fähig, Verunsicherung wahrzunehmen und darauf zu reagieren, indem er eine ironische Äusserung ausdrücklich entschlüsselt. Das macht dann zwar einen Teil des Effektes kaputt, aber die Gefahr des Missverständnisses ist immerhin gebannt – Ähnlich wie mit dem SarcMark. Und ich kann mir durchaus Szenarien vorstellen, in denen dieser in Watte gepackte Sarkasmus zum Einsatz kommen dürfte. Doch brauchen wir dazu das SarcMark? Smileys und Anführungszeichen erfüllen denselben Zweck absolut zuverlässig.
Auch auf meinem Blog würde ich Ironie und Sarkasmus übrigens niemals einsetzen. Dafür sind meine Leser einfach zu einfältig.
[…] einer Veranstaltung in einer Beziehung zur Besucherzahl stehen könnte. (Hier könnte ich nun ein Sarcmark setzen und hätte damit einen Teil der $ 1.99 bereits amortisiert.) Nein, das ist wirklich zu weit […]