Es geht doch nichts über die Eröffnung eines Auftrittes mit einer Entschuldigung:
„Es tut mir leid, dass ich mich nicht besser vorbereiten konnte.“
Mancher versucht es auch auf die weniger explizite Weise:
„Ich werde versuchen, mich kurz zu fassen.“
Auch ein solcher Satz ist eine Art von Entschuldigung, wenn auch eine indirekte. Er enthält die unausgesprochene Botschaft: „Was ich zu sagen habe, ist es eigentlich nicht wert, Ihre Zeit in Anspruch zu nehmen.“ Mit einem solchen Ausdruck des Bedauerns (einer Entschuldigung eben) sägt ein Redner nicht nur an dem Ast, auf dem er sitzt.
Er fällt den Baum.
Nein, er fällt den Wald.
Als ich mir kürzlich wieder einmal den Film „Love Actually“ ansah, stiess ich auch dort auf eine solche Entschuldigung. Die Szene: Ein Schulkonzert wurde eingeübt und steht nun vor der Aufführung. Bevor die Show losgeht, begrüsst einer der Lehrer das Publikum im überfüllten Saal und schliesst mit den Worten: „Some of the staff have decided to help out. And for this, I apologise.“ („Einige der Lehrer haben sich entschieden mitzuhelfen, und dafür entschuldige ich mich.“) Im Gegensatz zu meiner sonstigen Abneigung gegen Entschuldigungen in ähnlichen Situationen fand ich das absolut gelungen und witzig. Wohl aus dem einfachen Grund, dass die „Entschuldigung“ mit einem Augenzwinkern (natürlich kein wirkliches Augenzwinkern, meine Güte!) daherkam. Ein gelungener, witziger Moment.
Im Gegensatz zu alltäglichen Bühnenentschuldigungen – ganz ohne Augenzwinkern.
Ich weiss, dass es schon spät ist, aber ich …
Natürlich bin ich kein so guter Redner wie … Trotzdem möchte ich …
Wir hatten nicht so viel Zeit zum Üben: Entschuldigen Sie, dass nicht alle alle Töne treffen.
Ich hoffe, dass es nicht zu langweilig war.
Ich hoffe, dass das verständlich war.
Solche Aussagen sind Selbstsabotagen und einem Publikum nicht zuzumuten. In den meisten Fällen verraten sie, dass der Redner nicht dort sein will, wo er ist. Deshalb geht er davon aus, dass auch das Publikum nicht dort sein will, wo es ist. (Und vermutlich liegt er damit auch richtig. Spätestens nach einer solchen Einleitung.)
Eine kleine Übersetzunghilfe für Bühenentschuldigungen:
Aussage | Bedeutung | angemessenes Verhalten |
---|---|---|
„Ich werde versuchen, mich kurz zu fassen.“ | Ich habe nichts Interessantes zu sagen. | Nichts sagen. |
„Ich hoffe, dass ich das jetzt klar rüberbringen kann.“ | Ich habe mich zu wenig vorbereitet | Besser vorbereiten. |
„Wir hatten nicht so viel Zeit zum Üben. Aber wir geben unser Bestes.“ | Wir bezweifeln, dass Sie uns überhaupt sehen oder hören wollen. | Selbstbewusster werden. |
Natürlich geht es mir nicht um den genauen Wortlaut der vorgeschlagenen Bedeutung. Doch eine Aussage in der Art, wie ich sie in der linken Spalte aufgeführt habe, transportiert weit mehr, als ich eigentlich ausdrücken möchte. Sie wirkt auf den ersten Blick vielleicht bescheiden und dient ja vor allem dem Selbstschutz, aber kein Mensch im Publikum ist daran interessiert, dass ich mich kurz halte, wenn ich mich gut vorbereitet habe und mein Stoff interessant ist. (Von einigen wenigen vielleicht einmal abgesehen, denen man es ohnehin nie Recht machen kann. Und vielleicht haben die ja auch nur vergessen, zuhause die Kerzen auszublasen.)
Wer sich vor sein Publikum stellt, muss mutig sein. Menschen hören gerne mutigen Menschen zu. (Ich meine mutig, nicht arrogant und eitel.) Sie wollen sicher sein, dass hier einer steht, der
- etwas zu sagen hat.
- gerne über seinen Stoff redet.
- sich in seiner Rolle sicher und wohl fühlt.
- sich gründlich vorbereitet hat.
- sich auf die Begegnung mit dem Publikum freut.
Wer sich für seinen Auftritt direkt oder indirekt entschuldigt, beschädigt diesen Eindruck nachhaltig.
Natürlich werden Entschuldigungen dieser Art nicht vorbereitet. Sie rutschen einem in der Regel einfach heraus. Sie sind daher oft eine Folge ungenügender Vorbereitung, ein Ausdruck von Unsicherheit.
(Und bevor jemand einwendet: „Dann sind sie ja auch angebracht!“ kontere ich ganz schnell: Das ist ja gar nicht der Punkt! Auch ein langweiliger und schlecht vorbereiteter Redner darf gerne darauf verzichten, sich auf diese Weise noch weiter zu demütigen – und sein Publikum zusätzlich zu quälen.)
Die gute Kehrseite: Diese rhetorische Unart lässt sich durch ernsthafte Vorbereitung vermeiden. Wenn ich mir die für unangebrachte Spontanentschuldigungen besonders anfälligen ersten Sätze meines Auftrittes genau zurechtlege und mir die Situation möglichst detailliert vorstelle, dann wird mir kein „Ich werde mich kurz fassen“ einen Strich durch die Rechnung machen.
Stefan Gisiger meint
Wow, voll auf den Punkt gebracht . Wenn ich da so zurückblicke auf meine Auftritte vor Publikum…. Da habe ich wohl schon die russische Tundra abgeholzt ;-).
Spontan kam mir zum Thema unzumutbarer Redner der Gedanke, ob es wohl auch ein unzumutbares Publikum gibt. Wie bereitet sich eigentlich ein Mitglied des Publikums auf einen Redner vor? ….
Cla Gleiser meint
@Stefan.
Danke für deinen Kommentar und die äusserst anregende Frage. Die nehme ich sehr gerne als Sprungbrett für einen neuen Post. Demnächt also mehr dazu.
Maike Leyendecker meint
Man kann halt nicht hingehen oder früher gehen oder schlafen;-) Die Optionen hat der Redner auch,aber mit weitreichenderen Konsequenzen 🙂 LG
Rolf Grießhammer meint
Es ist recht interessant, solche Formulierungen einmal näher unter die Lupe zu nehmen… es gibt noch ein paar nette Varianten wie „ich würde sagen“ oder „ich würde meinen“… wenn ich etwas sagen würde, aber nicht sage, warum sage ich dann, was ich sagen würde, wenn ich etwas sagen würde? Zur Geselligkeit der Selbstsabotage passen auch Nebelbomben, die im Grunde eine Aussage haben könnten, wenn man sich, wie gesagt, damit beschäftigen würde, welche Inhalte vielleicht in einer Formulierung stecken könnten, die eventuell zum Ausdruck gebracht nun tatsächlich einen bestimmten Gehalt hätten, den man natürlich erst nach sorgfältiger Analyse annähernd in den Bereich des Verständlichen rücken könnte, falls man sich darum bemühen wollte…. war das verständlich?
Cla Gleiser meint
@Rolf.
Ich möchte dir für diesen Kommentar danken und würde sagen: So könnte man es sehen.
Dein Hinweis ist eine wertvolle Ergänzung. Das Problem mit Äusserungen wie „ich würde sagen“ hat auch mit dem Wechsel auf die Metaebene zu tun, der wohl unbemerkt geschieht, aber eindeutig eine vernebelnde (sehr schönes Bild) Wirkung hat. Anstatt etwas zu sagen, rede ich über das Sagen. Damit scheint dann alles gesagt, doch das täuscht.
Dein Kommentar war sehr verständlich (würde ich jedenfalls sagen).
Maike Leyendecker meint
Hallo,welch unbeschreiblich kluge und die Dinge auf den Punkt bringende Seite.Achtung dafür!Liebe Grüße,Maike