Gestern habe ich die Millenium-Trilogie von Stieg Larsson zu Ende gelesen. Ich gehöre jetzt also auch dazu. Der Erfolg dieser Bücher ist ja eindrücklich, darüber werde ich womöglich an einem anderen Tag noch schreiben.
Ein Buch fertigzulesen ist immer ein spezielles Erlebnis. Fast ein bisschen feierlich ist mir dann jeweils zumute. Die äussere Umgebung entspricht diesem Empfinden jedoch nur selten. Ein Buch fertiglesen kann man schliesslich an jedem Ort, ganz egal wie profan er ist. Und doch empfinde ich, dass ein Ort zu einem besonderen Ort wird, wenn ich dort ein Buch fertiglese. Ihm wird eine spezielle Würde zuteil.
Dabei kann ich die Wahl eines solchen Ortes nur sehr begrenzt kontrollieren. Grundsätzlich gilt: Wenn ich zur letzten Seite, zum letzten Satz eines Buches komme, dann habe ich mir den Ort, an dem das passiert, nicht ausgewählt. (Wenn ich den Schluss eines Buches aufschieben kann, um ihn an einem speziellen Ort zu erleben, dann muss es tatsächlich um einen besonders speziellen Ort gehen, oder mit dem Buch stimmt etwas nicht.) Es geschieht dort, wo ich eben gerade bin. Orte, an denen ich ein Buch fertiglese, sind daher Schicksalsorte.
Ganz im Gegensatz zu Orten, an denen ich ein Buch beginne. Das ist ja lange eingefädelt: Ich nehme zum Beispiel ein Buch mit in die Ferien. Oder ich packe es am Morgen in meine Tasche, um während einer langen Zugfahrt in die Geschichte einzusteigen. Oder ich nehme es am Abend mit ins Bett.
Das Ende ist viel weniger planbar. Weiss ich, ob ich während meinen Ferien fertig werde? Oder ob die Dauer der Zugfahrt reicht? Oder wie lange es dauert, bis ich im Bett einschlafe?
Dass ein Ort, an dem ich ein Buch fertiglese, ein Schicksalsort ist, hat auch damit zu tun, dass er eine wichtige Rolle dabei spielt, eine Geschichte zu einem Teil meiner Geschichte zu machen. Die Emotionen, die ich nach Abschluss der Lektüre empfinde, sind mit dem Ort verbunden. Vor allem aber beeinflusst der Ort, meine ersten Reaktionen nach dem letzten Satz. Und genau darum geht es hier. Genau darum habe ich mich entschieden, den Orten, an denen ich ein Buch fertiggelesen habe (oder fertiglesen könnte oder möchte oder nicht möchte), eine Artikelreihe zu widmen.
Nun muss ich diese Reihe leider eher unspektakulär eröffnen. Den dritten Band der Millenium-Trilogie, Vergebung, habe ich nämlich gestern Abend ausgerechnet im Bett fertiggelesen. Im Licht der Taschenlampe immerhin, das war wenigstens ein bisschen abenteuerlich. Der grosse Vorteil der Bettlektüre besteht ja in der Chance, dass die Geschichte einen in den Schlaf verfolgen könnte. Doch gestern hoffte ich vergeblich darauf. Weder Lisbeth Salander noch Ronald Niedermann machten sich im meiner Traumwelt bemerkbar. Jedenfalls konnte ich mich heute Morgen nicht daran erinnern. Und wenn sie aufgetaucht wären – das hätte ich bestimmt nicht vergessen.
Weitere Vorteile des Bettes als Ort, an dem ich ein Buch zu Ende lese:
- Ich bin verletzlich und offen für die Geschichte und ihre Figuren, für das besonders emotionale Ende. (Ich habe ja nur einen Pyjama an.)
- Ich kann mich in dieser Umgebung uneingeschränkt meinen Gedanken hingeben, meine ganze Aufmerksamkeit den Personen zuwenden, von denen ich mich jetzt verabschieden muss. Ich kann nochmals über die Geschichte nachdenken, mich an die stärksten, die schönsten, die irritierendsten Momente erinnern.
- Das Risiko, einzuschlafen, birgt Potenzial für besonderen Nervenkitzel. (Halte ich bis zum Schluss durch?)
Nachteile des Bettes als Ort, an dem ich ein Buch zu Ende lese:
- Der Schlaf könnte mich überwältigen – und zwar zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Zum Beispiel zwei Seiten vor Schluss. Das kann die Dramaturgie der letzten Ereignisse zerstören.
- Ich kann meinen Gefühlen nach Abschluss der Lektüre kaum Ausdruck verleihen. Weder werde ich mir die Mühe machen, ein Notizbuch zu greifen und etwas aufzuschreiben, noch stehe ich auf, um mir etwas zu trinken zu genehmigen. Auch kann ich kaum jemandem von meinem möglicherweise enorm aufwühlenden Leseerlebnis berichten. Einzig leises Weinen oder Lachen könnten möglich sein.
- Es ist einfach etwas langweilig.
Weitere Orte, die ich in dieser Reihe zu beschreiben gedenke:
- Zug
- Wartezimmer beim Arzt
- Heimweg von der Arbeit (zu Fuss)
- WC
- Parkbank
- Eine fremde Stadt
- Café
- Skilift
- Flugzeug
- Bus (nicht identisch mit Zug, weil mir beim Lesen im Bus schlecht wird)
Ausserdem berichte ich selbstverständlich auch über die Orte, die mir das Schicksal bei meinen nächsten Büchern zuspielt.
Und gerne höre ich in den Kommentaren von den Orten, an denen meine Leser ihre Bücher fertiglesen. Oder gerne fertiglesen würden. Oder keinesfalls fertiglesen wollen.
Dani meint
also im Büro ist auch eine Möglichkeit – sicher auch langweilig, aber das Notizbuch (oder der Computer) sind in Griffnähe. Das letzte Buch habe ich auf einem Liegestuhl vor dem Camper fertig gelesen. Dies ist, wie ich finde, mit zwei kleinen Kindern, auch eine Leistung. Der Ablenkung trotzen(gut wir hatten ja in den Ferien auch Begleitung) 🙂
Cla Gleiser meint
@Dani
Und was für eine Leistung! Das spricht entweder sehr für das Buch oder für deine Fähigkeiten, dich unablenkbar zu fokussieren.
@Ändu
Das klingt nach einem sehr intensiven Leseerlebnis. Die ganze Bibel – an einem Schnurpf? Wie lange hast du denn dafür gebraucht?
Ändu meint
An der Bibelschule hatten wir die Aufgabe, die Bibel ganz durchzulesen. Ich werde den Moment wohl nie vergessen, als ich in meinem Zimmer am Studiertischchen sitzend in den frühen Sonnenaufgang blinzelte und staunte über die Verheissungen Gottes in den letzten Kapiteln, die beschreiben, wie er eine neue Erde und einen neuen Himmel erschaffen werde, absolut vollkommen, wunderbar, … mir fehlen die Worte…
Ändu meint
Weiss nicht mehr genau, wie lange ich brauchte. Aber wir hatten ein ganzes Jahr dafür Zeit. Das gab pro Tag ein Häppchen von durchschnittlich ca. 4 Kapiteln.
Cla Gleiser meint
@günstige Babyartikel
Danke für den Link. Ich kann nur staunen, zu welchen Resultaten automatisch erstellte Themenlinks führen. Da habe ich wohl einmal zu oft „Bett“ geschrieben.
@Websurfer, die von der Babyartikelseite auf meinem Sprachblog gelandet sind
Herzlich willkommen. Schaut euch doch ein bisschen um. Auch hier gibt es einiges fürs Familienleben zu entdecken. 😉