Eine grosse, klaffende, rot-schwarze Wunde, aus der binnen Sekunden das Leben herausgesickert sein musste.
Was stimmt an dieser Beschreibung (aus dem Hörbuch „Die Anstalt“ von John Katzenbach) nicht? – Dasselbe wie an diesem Bild:
Ein grünes Verbotsschild? Das geht doch nicht! Der (man würde denken offensichtliche) Widerspruch zwischen Grün und Durchgestrichen sabotiert die Wirkung des Schildes, welches statt Gehorsam eher Verwirrung stiften dürfte. (Man könnte sich zum Beispiel fragen, ob es vielleicht darum geht, dass Nichtrauchen erlaubt ist?) Das Resultat: Die Nachricht kommt nur über Umwege ans Ziel. Wen wundert es da, dass mit dem roten Aufkleber die Unsicherheit beseitigt werden musste, damit auch jeder versteht: Es ist tatsächlich ein Verbot!
Auch der eingangs zitierte Text enthält einen solchen inneren Widerspruch, der die Wirkung der an sich drastischen Beschreibung bremst. Da ist zunächst von einer „grossen, klaffenden“ Wunde (im Hals übrigens) die Rede, aus der das Blut und damit das Leben nur so heraus– ja, was jetzt? Sickert jedenfalls sicher nicht. Denn sickern geht langsam. Langsam ist ein fester Bestandteil der Bedeutung von sickern. Ein weiterer wäre (jedenfalls meinem Sprachempfinden nach), dass eine Flüssigkeit sich beim Sickern einen Weg sucht, der eigentlich nicht direkt frei ist. Wasser sickert zum Beispiel durch den Boden des Badezimmers ins Wohnzimmer des Nachbarn unter mir. Oder die nicht über alle Zweifel erhabene Substanz aus den nur notdürftig verscharrten und durchgerosteten Fässern sickert ins Grundwasser. Aber ganz bestimmt würde kein Fluss der Welt durch sein Bett sickern. Auch ein Wasserfall sickert nie und nimmer in die Tiefe, genauso wenig wie aus einem angezapften Fass Bier oder sonst etwas sickert. Eine Flüssigkeit sickert dann, wenn sie einen Weg findet, wo eigentlich keiner ist. Im Bild, das hier in üppiger (und nach meinem Geschmack etwas schwülstiger) Sprache heraufbeschworen wird, geht es aber genau ums Gegenteil: Die Wunde bedeutet freie Bahn für das Blut! Das sprudelt dann nur so. Oder spritzt. Oder strömt. Sicher aber sickert es nicht.
Sich bildhaft auszudrücken, ist eine der grössten sprachlichen Tugenden. Eine bildhafte Sprache macht das Lesen oder Zuhören viel interessanter und auch fruchtbarer: Es bleibt einfach viel mehr im Gedächtnis haften als bei abstrakten Formulierungen. Wer bildhaft redet, hat zudem die Chance, seine Botschaft bei Lesern und Zuhörern richtig tief zu verankern. Das hat dann nicht mehr in erster Linie mit Denken und Argumenten zu tun, sondern mit Bildern, die ich platziere und die im Kopf oder im Bauch ihre Wirkung entfalten.
Ein Beispiel aus dem fiktiven Jahresbericht einer fiktiven Reinigungsfirma, die in eine Flotte des Staubsaugers „Sucker V-21“ (mit Pollen- und Milbenfilter und kosmischer Saugleistung) investiert hat:
Die Geschäftsleitung ist überzeugt, mit dieser Entscheidung den Grundstein für den Weg zur Nummer 1 unter den Schweizer Reinigungsunternehmen gelegt zu haben.
Diesen Satz kann man so zur Kenntnis nehmen, ohne sich an irgendetwas zu stören. Und doch: eine vertane Chance. Denn dynamisch ist das nicht. Das Bild vom Weg zur Nummer 1, das Bewegung bedeutet und die Dynamik des Unternehmens unterstreichen soll, wird sabotiert vom Bild des Grundsteins. Der Grundstein nämlich ist der Inbegriff von Stabilität. Er darf sich nicht bewegen, alle anderen Steine, die auf ihm liegen, verlassen sich darauf! Deshalb vermittelt der Grundstein das Gegenteil von Dynamik und ist hier vor allem einmal Klotz am Fuss dessen, was eigentlich kommuniziert werden will: Wir bewegen uns!
Eine kraftlose Bildsprache entwickelt man am einfachsten, indem man Bilder kombiniert, die sich widersprechen. Je massiver der Widerspruch, desto gründlicher die Neutralisierung. Solche Bilder zu kombinieren ist noch nicht einmal aufwändig. In der Regel geht das von ganz alleine, wenn man einen Text mit den erstbesten bildhaften Begriffen anreichert.
Wesentlich aufwändiger ist es, eine starke Bildsprache zu entwickeln und zu pflegen. Die Geschäftsleitung unseres Reinigungsunternehmens ist herausgefordert, ihre Gedanken über Zukunft, Entwicklung, Vorangehen und Wachstum konsequent mit dynamischen Begriffen zu unterstreichen und so das Bild zu vermitteln, das sie vermitteln will:
Wir gehen voran!
Mehr dazu demnächst (und zwar hier).
Simon Meier meint
Hallo Cla!
Ich verfolge deinen Blog seit einiger Zeit und geniesse deine Texte!
Dieser hier hat mich besonders angesprochen. Werde vermehrt auf bildhafte Sprache achten und darauf, wie überzeugend die Bilder sind.
freundlichen Gruss
Simon
Cla Gleiser meint
Hoi Simon
Danke sehr. Freut mich, dass der Beitrag für dich nützlich ist. Und wie versprochen werde ich demnächst noch einige Tipps nachschieben.
Herzlicher Gruss
Cla
Rahel meint
Hoi Cla,
wie wohltuend…
Dein Text ist wie taubenetztes Moos bei Sonnenaufgang. Sanft und prickelnd zugleich, wenn man barfuss darüber geht. Ein Text, der aufatmen lässt. Und nicht zuletzt regt er mich an, meine eigenen Bilder, die ich in der Sprache verwende, zu hinterfragen. Auf deine weiteren Tipps bin ich gespannt,
lieber Gruss Rahel
Cla Gleiser meint
Danke, Rahel. Bei mir hat’s leider kein Moos in der Nähe, aber das muss eine tolle Erfahrung sein.
Rahel meint
Hmm, da könnte man wieder mal sagen: „Ohne Moos ist nix los“…
Schönes Wochenende, Rahel