Wer vor Publikum spricht, ist angespannt. Hoffentlich. Wäre das nicht der Fall, müsste man auf Gleichgültigkeit schliessen, und die ist eine Beleidigung des Publikums.
Die Anspannung des Redners hat mit Unsicherheit zu tun. Und jede Redesituation bringt ein gewisses Mass an Unsicherheiten mit sich. Ganz egal, wie gut ich mich vorbereitet habe, kann ich beispielsweise mein Publikum nur begrenzt einschätzen und darum auch nicht vorhersagen, wie es auf mich reagiert. Das verlangt Flexibilität, Reaktionsvermögen, Freiheit – und erzeugt Unsicherheit. Doch genau diese Unsicherheit ist es ja, die den Spass an der Sache ausmacht. Und diese Unsicherheit ist es auch, von der ich hier nicht rede.*
Es gibt eine andere Unsicherheit, die sich ebenfalls in der Anspannung des Redners äussert, die ich jedoch als belastend und daher ungesund bezeichnen würde.
Erstens, weil sie dem Redner Bauchweh bereitet (oder andere unangenehme Symptome hervorruft).
Zweitens, weil sie sich während der Rede in unpassender und schädlicher Weise Ausdruck verschaffen kann, und den Redner dazu bringt, sich selbst zu sabotieren.
Und kreativ wie der Mensch ist, treibt diese Unsicherheit ganz unterschiedliche hässliche Blüten:
- Zum Beispiel in einer Körpersprache, die dem Publikum entgegenschreit: „Ich habe Angst vor Euch!“
- Oder in ungeschickten Formulierungen, mit denen der Redner seine Position als Experte unterstreichen möchte, weil er sich nicht sicher ist, ob das Publikum ihn als solchen akzeptieren will.
- Oder mit Ähs und Oders und Vielleichts und ähnlichen verbalen Kurzschlüssen.
Diese unbewussten und deutlichen Signale sprechen dann oft lauter als der Inhalt der Rede und bestimmen so den Eindruck, den der Redner hinterlässt; und das, ohne dass dieser es kontrollieren könnte.
Für die nächsten Wochen plane ich darum, auf eine Reihe rednerischer Unarten einzugehen, deren Quelle in der Unsicherheit des Redners liegt. Und natürlich werden auch Vorschläge nicht fehlen, wie diese Unsicherheit beseitigt oder mindestens so bewusst gemacht werden kann, dass sie mich nicht zur Selbstsabotage zwingt.
Nachtrag: Inwischen sind alle Artikel der Reihe online :
- Selbstsabotage durch Imponiergehabe
- Selbstsabotage durch sprachliche Unarten
- Selbstsabotage durch körperliche Unarten
- Der Anfang vom Ende der Unsicherheit
* Ausdrücklich zu erwähnen, wovon man nicht sprechen will, ist ein sehr wirksames Stilmittel (in der klassischen Rhetorik Paralipse genannt). Es erzeugt eine Art paradoxen Effekt, indem es gerade durch den ausdrücklichen Verzicht eine Aussage oder ein Stichwort für einen kurzen Moment in den Mittelpunkt stellt und so die Aufmerksamkeit des Publikums bündelt. – Unbedingt ausprobieren!
Daniela Hunziker-Graber meint
Danke für deine erfrischenden Beiträge!
Wünsche dir einen wunderschönen Tag.
David Ruprecht meint
wunderbar sind dabei auch unnötige Selbstaussagen, wie es Jens Kaldewey jeweils bezeichnet hat. Oder angefangene, nicht vorbereitete und vorallem relativierende Halbsätze… ja, das gibt viele Dinge. Bin gespannt auf deine Inputs und freue mich drauf
Cla Gleiser meint
Danke Euch.
Nich vorbereitete Halbsätze. Ja, das hoffe ich. Das wäre ja noch schöner, wenn die vorbereitet wären… 😉
Cla Gleiser meint
Wobei, wenn ich da an Piet Klocke denke…
David Ruprecht meint
also ich weiss nicht…wenn ich…ich meine das geht von deiner… und wenn du es genau…aber das muss ja nicht gleich sofort… Piet ist spitze
Seeliger Stefanie meint
es gibt übrigens geplante Satzabbrüche. alte rhetorische Figur mit dem komplizierten Namen Anakoluth und Aposiopese. Das eine ist ein Satzabbruch mit anschließenden Neuanfang, das andere nur ein Satzabbruch – mit ihm kann man Dinge andeuten und Unausgesprochen lassen bzw. Emotionen ausdrücken.
Zu den Ähs und Ähms: interessant finde ich, dass sowohl im Französischen als auch im Amerikanischen diese nicht so negativ beurteilt werden wie bei uns. Auch Heinrich von Kleist hat für die „allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ das Füllen mit Zeit verzögernden Mitteln empfohlen.
Danke für die spannenden und angenehm zu lesenden Artikel. Genieße (fast) JEDEN!
Cla Gleiser meint
Vielen Dank für die anregenden Ergänzungen und die freundliche Rückmeldung. Ja, die rhetorische Werkzeugkiste hat viel zu bieten. Manchmal kommt es mir vor, als sei jede denkbare sprachliche Möglichkeit dort kategorisiert und mit einem Namen versehen.
Bei den Ähs und Ähms entscheidet m. E. die Menge. Ein gelegentliches Zögern ist ja auch Ausdruck des Menschseins. Als zeitverzögernde Mittel habe ich sie aber in der Tat noch nie betrachtet.