Niemand fühlt sich gerne unsicher. Und wer sich so fühlt, möchte das ändern.
Dafür gibt es verschiedene Strategien, wie ich letzte Woche notiert habe. Eine ist, was Schulz von Thun in seinem Klassiker Miteinander reden: Band 1, Störungen und Klärungen „Imponiertechniken“ nennt (S. 107).
Meine sehr verehrten Damen und Herren, möglicherweise haben Sie schon eines meiner Bücher zum Thema gelesen.
Gut, das geht ja jetzt noch. Wenn er Bücher zum Thema geschrieben hat, kann das für sein Referat ja relevant sein.
Vieles darin schien Ihnen womöglich schwer zugänglich. Machen Sie sich deswegen keine Gedanken, ich schreibe natürlich in der Regel für ein Expertenpublikum.
Mir wird schon etwas unwohl.
Ich darf Ihnen aber versichern, dass ich heute Abend alles daran setzen werde, mich in einer Art und Weise auszudrücken, dass auch Sie mir werden folgen können.
Auf Wiedersehen! – Ich habe mich verabschiedet (mindestens innerlich, lieber aber auch äusserlich).
Die Imponiersprache kann ganz verschiedene Formen annehmen. Sie verfolgt aber immer dasselbe Ziel: Ich stelle mich als Redner in das bestmögliche Licht, damit auch die in der letzten Reihe erkennen, wie hell ich bin.
Das Raffinierte daran ist, dass Imponierphrasen oft eher beiläufig platziert werden. Damit arbeitet der Redner dann so nebenher am glanzvollen Selbstbild. Ein Beispiel von Schulz von Thun:
Auf den Intelligenzquotienten kann man nicht viel geben. Meiner liegt angeblich bei 131, aber ich stell mich oftmals ziemlich dämlich an.
Diese Beiläufigkeit ist nicht überraschend. Denn schliesslich will der Redner ja eine Unsicherheit kompensieren, die ihm nicht bewusst ist. Da rutschen solche Phrasen dann einfach heraus. Der Redner ist nicht mehr Herr seiner selbst. Jedenfalls nicht seiner Sprechwerkzeuge.
Im Folgenden einige Varianten der Imponiersprache (ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit):
- Hinweise auf Bücher, die ich gelesen habe (am liebsten unterstützt durch einen Bücherstapel auf dem Tisch)
- Hinweise auf berühmte Menschen, die ich kenne
- Abwertende Beurteilung von Experten
- Hinweise auf Ausbildungen oder berufliche Positionen („Viele bestehen darauf, mit ‚Doktor‘ angesprochen zu werden. Ich sehe das ganz locker.“)
- Abwertung anderer oder ihrer Leistung
- Abwertung des Publikums („Wenn Sie dieses Buch einmal gelesen und verstanden haben…“ – Habe ich wirklich so in einem Referat gehört und selbstverständlich sofort notiert. Ehrenwort!)
- Und besonders beliebt: komplizierte Sprache, z. B. durch unnötige Fremdwörter oder lange Schachtelsätze (Sie kann beim Zuhörer die Reaktion auslösen: „Ich verstehe zwar kein Wort, aber es klingt enorm gescheit. Der Mann muss ein wahrer Experte sein.“
Wer die Imponiersprache meiden, sich aber trotzdem als Experte positionieren will (und welcher Redner will das nicht?), steht also in einem gehörigen Spannungsfeld. Wie ich darin überlebe, habe ich mir gerade als Idee für einen weiteren Blogpost notiert.
Welchen Effekt hat solches Imponiergehabe? – Diese Frage kann jeder selbst beantworten, der sich überlegt, welche Reaktion die Beispielsätze oben bei ihm auslösen.
Zwei Dinge sind zu lernen:
Erstens (das unwichtigere Ding): Wer ein Radar für die Techniken der Imponiersprache hat, kann diese leicht erkennen. Zu beeindrucken ist so jemand dann kaum mehr. Eher im Gegenteil.
Zweitens (das wichtigere Ding): Wer ein Radar für die Techniken der Imponiersprache hat, kann sie bei sich selbst schon im Ansatz erkennen und abwürgen.
Es gibt andere, viel gesündere Wege, die eigene Unsicherheit zu besiegen und dabei erst noch die Nähe zum Publikum zu fördern. (Meine Anregungen dazu folgen als Abschluss dieser Artikelreihe, wahrscheinlich so um Weihnachten herum.) Denn die Imponiersprache erzeugt ja genau das Gegenteil: Distanz. Und wenn ein Redner aus seiner Unsicherheit heraus Distanz zum Publikum schafft (wahrscheinlich, weil er sich vor den Zuhörern fürchtet), dann haben alle verloren.
Reto Baliarda meint
Hallo Cla
Hat richtig Spass gemacht, dies zu lesen. Bei Imponierphrasen kommt mir das Englische Seminar in den Sinn. Oder kannst du dich an diesen Satz erinnern? „Poetry is violence, committed in ordinary speech.“
Nun, vielleicht habe ich deshalb noch eine PR-Ausbildung gemacht, damit ich von dieser abgehobenen Akademikersprache geheilt werde. Doch wahrscheinlich dauert der Heilungsprozess bei mir immer noch an:-)