Letzten Freitag habe ich wieder einmal kurz in die Arena geschaut. Etwa eine halbe Stunde habe ich es ausgehalten. Aber es ist ja Teil des Konzeptes, dass die Zuschauer sich nerven, deshalb schauen sie ja zu. Diskutiert wurde über die Initiative gegen Waffengewalt. Und was mich am meisten erschreckte, war das Niveau, auf dem diskutiert wurde: Argumentationen, die in sich nicht schlüssig waren, Gegenargumente, die nicht aufgenommen wurden, weil man darauf offenbar nichts zu erwidern hatte (und deshalb einfach das Thema wechselte), Vergleiche, die mehr als nur hinkten. Es war zum Heulen.
Und dann blätterte ich am Sonntag den Thalwiler Anzeiger vom letzten Donnerstag durch. Auch hier war die Initiative Thema. Berichtet wurde über ein Podiumsgespräch, an dem zwei Befürworter und zwei Gegner sich einen Schlagabtausch lieferten. Eingeladen hatte der Bezirksschützenverband Horgen.
Gewehre und S-Bahnen
Der Zeitungsartikel gibt Einblick in den Verlauf der Diskussion, die offenbar von den Gegnern der Initiative dominiert wurde. Doch womit? Zum Beispiel hiermit:
Der Staat könne nicht alles Leid verhindern, hielt der Freisinnige Hans-Peter Portmann dagegen: „Sonst dürften wir aufgrund der Suizidgefahr auch keine S-Bahnen mehr aus den Bahnhöfen fahren lassen.“
Leuchtet ein.
Oder?
Ich wurde beim Lesen an die Arena vom Freitag erinnert und fragte mich erneut: Waren die Redner einfach nur schlecht vorbereitet? Oder gibt es keine besseren Argumente?
Die Kraft von Vergleichen
Grundsätzlich ist ein Vergleich eine gute Strategie, um beim Publikum schnell Zustimmung zu erzeugen. Und ich fürchte, das ist wohl auch Hr. Portmann mit seinem S-Bahn-Vergleich gelungen. Immerhin hat er es auch unkommentiert in die Zeitung geschafft. Und gerade das erschreckt mich. Deshalb steht dieser Artikel auch unter dem Stichwort „Manipulation“.
Ein Vergleich erzeugt sehr einfach eine zustimmende Reaktion beim Publikum. Da reicht es schon, wenn er auf den ersten Blick irgendwie stimmt. Mehr als ein erster Blick ist während einer Rede oder eines Streitgespräches ja ohnehin nicht möglich, da geht alles viel zu schnell. Das ist das Perfide an dieser Art irreführender Argumentation: Sie hält einer Überprüfung nicht stand, weil sie den Zusammenhängen, die sie zu beleuchten vorgibt, überhaupt nicht gerecht wird; und trotzdem führt sie die Meinung des Publikums. Das Publikum nickt das „Argument“ dann kurz durch, hat dem Redner damit ein weiteres Mal zugestimmt und ist schon beim nächsten Gedanken.
Der Waffen-S-Bahn-Vergleich streckt alle Viere von sich, sobald etwa die Zweckfrage gestellt wird: Wozu ist eine Schusswaffe da? Wozu eine S-Bahn? Wer diese Frage beantwortet, weiss, dass hier nicht nur Äpfel und Birnen, sondern Äpfel und eine noch viel extremere Art von Nicht-Äpfeln verglichen werden.
Vorbereitung und Absichten
Ein erfahrener Redner weiss natürlich um die schnelle Wirksamkeit von Vergleichen; auch von hinkenden. Keiner, der sich seine Gedanken für eine solche Diskussion zurechtlegt und dafür mehr als 5 Minuten aufwendet, kann einen Vergleich der Kategorie Waffe-S-Bahn für passend, der Sache angemessen und deshalb überzeugend halten. Wenn er ihn dann aber trotzdem verwendet, tut er es
- weil ihm Zeit oder Lust fehlen, echte Argumente und Vergleiche zu suchen.
- weil er sich denkt: Hauptsache, es wirkt. (Womit in meinen Augen die Weichen Richtung Manipulation gestellt sind.)
- aus Gründen, die mir schleierhaft sind. (Und die mag es durchaus geben.)
Es ist diese Kategorie von „Argumentation“, über die ich mich schon bei der Arena genervt hatte: Vergleiche sind nicht zu Ende gedacht, werden aber so vorgetragen, als wären sie hieb- und stichfest. Die Zuhörer werden dadurch für nicht weniger als dumm verkauft, weil man offenbar davon ausgeht, dass sie echte Argumente nicht von falschen, aufgeblasenen unterscheiden können.
Nutzen für den Redner
Dem Redner, der sich seriös und aufrichtig vorbereitet, bietet die Suche nach passenden Vergleichen und Argumenten übrigens den unschätzbaren Mehrwert, die eigene Position gründlich aus der Distanz überdenken zu können. Damit kann er seine eigene Überzeugung noch einmal stärken und sein Publikum dann auch fair anhand einer nachvollziehbaren und transparenten Argumentation überzeugen.
Gleichzeitig birgt das Überdenken der eigenen Position natürlich das Risiko, zu einer Neubeurteilung der Sache zu kommen. Auch dem muss ein Redner sich stellen können; und seinen Auftritt beim Podiumsgespräch entweder absagen oder aber das Publikum mit einer Kehrtwende verblüffen – einer sehr gut begründeten und auch auf den zweiten und dritten Blick noch nachvollziehbaren Kehrtwende.
Simon Meier meint
Hallo Cla..
Es lebe die Arena! oder so…
kleines Detail: Müsste der Vergleich, den du aufgeführt hast nich von einem Gegner der Initiative stammen?
Oder hab ich da was Falsch verstanden?
Gruss, und Danke für deine anregenden Blogs
Simon
Cla Gleiser meint
Hoi Simon
Danke für deine Rückmeldung und den Hinweis. Du hast natürlich vollkommen Recht. Die, die für die Initiative sind, sind dagegen. Die, die dafür sind, sind gegen die Inititative. Wenn ich das nur beim Ausfüllen des Stimmzettels nicht durcheinanderbringe…
Serijosha meint
Da gibt es doch das berühmte Beispiel mit dem Bleistift der 80 Rappen teuer ist als der Radiergummi bei 1 Franken Gesamtkosten. Was kostet der Radiergummi? Ich finde es immer wieder faszinierend, wie leicht sich unser Hirn austricksen lässt. Es lohnt sich meiner Ansicht nach, sich einfach kurz Zeit zu nehmen und über die scheinbaren Tatsächlichkeiten nachzudenken.
Danke für deine wirklich interessanten Beiträge. Ich habe den einen oder anderen Beitrag über mein persönliches Netzwerk verlinkt.
Gruss Serijosha
Cla Gleiser meint
Hi Serijosha
Danke für Deine Ergänzungen und die Verlinkung. Ich sehe das genauso: Es lohnt sich, kurz innezuhalten und nachzudenken. Hilfreich kann auch die Frage sein: Weshalb spricht mich dieses „Argument“ eigentlich an? Welches Vorurteil in mir will darauf antworten?
Herzlicher Gruss
Cla
Peter meint
Hallo! Ich habe mehrere Ihrer Beiträge mit Interesse und Schmunzeln gelesen. Bei Ihrem Kommentar zu Portmann’s Aussage scheint mir, dass etwas nicht berücksichtigt wurde, nämlich dass es hier offenbar um Suizid geht. Dann stimmt die Aussage eben doch, man kann sich auf viele Arten umbringen, es braucht dazu keine Waffe.
Mit freundlichen Grüssen, Peter
Cla Gleiser meint
Guten Morgen, Peter
Vielen Dank für den Kommentar. Ja, klar geht’s (ging’s) hier um Suizid. Aber die Argumentation war ja:
Waffen können zum Suizid verwendet werden. Das kann eine S-Bahn aber auch. Wenn wir also Waffen verbieten, dann müssen wir konsequenterweise auch die S-Bahn verbieten. Das aber wäre natürlich völlig übertrieben. Und dasselbe gilt auch für ein Waffenverbot. (Die Verkürzung «Waffenverbot» wird der Initiative «Für den Schutz vor Waffengewalt» nicht gerecht, aber diese Unschärfe gestatte ich mir hier.)
Das Thema Suizid war in der Diskussion vor der Abstimmung nur ein Teilaspekt. Die Initiative zielte – wie ihr Name sagt – nicht primär auf Schutz vor Selbsttötung ab. Gerade dies lässt den Vergleich noch stärker hinken. Portmann hat ein Nebenthema ins Zentrum gestellt, dort einen anscheinend schlüssigen Vergleich konstruiert und so Zustimmung erschlichen. Er argumentiert damit rein emotional. Fair geht anders, finde ich.
Beste Grüsse, Cla