Ach, ihr armen, bemitleidenswerten Menschen, die ihr Deutsch als Fremdsprache zu lernen habt! Nicht nur, dass in dieser herausfordernden Sprache das Gegenteil dasselbe sein kann (wie ich hier beschrieben habe). Nein. Manchmal ist es auch umgekehrt: Dasselbe ist dann das Gegenteil.
Furchtbar.
Vor einiger Zeit meldete „20 Minuten“, dass Bier gesund sei. Endlich! Unter dem Bild einer biertrinkenden Frau stand geschrieben:
Bier – in Massen genossen – ist gesünder, als bisher angenommen wurde.
So erfreulich die Nachricht ist, sie lässt mich rätseln: Dass ich Bier trinken soll, ist immerhin klar. Doch soll ich es gut dosiert trinken? Oder in rauhen Mengen?
Das Drama der gleich lautenden Mehrzahl
Der Satz kann tatsächlich beides bedeuten, und ganz allein für diese Doppeldeutigkeit verantwortlich ist das Wort Massen. Es ist eine Mehrzahlform, die sich zwei Wörter teilen:
- das Mass (1)
- die Masse (2)
(Um die Verwirrung nicht über ein zumutbares Mass steigen zu lassen, versehe ich die Varianten mit Nummern.)
Sowohl Mass (1) wie auch Masse (2) werden in der Mehrzahl zu Massen. Zu unterscheiden sind sie dann nur noch durch ein langes oder kurzes A, was aber natürlich nur in der gesprochenen Sprache weiterhilft. Hier also nicht.
Steht das Mass (1) mit langem A hinter in Massen, bedeutet der Ausdruck soviel wie „massvoll“, also in vernünftigem Mass.
Steckt in in Massen jedoch die Masse (2, mit kurzem A), dann kann es gar nicht genug sein. „In rauhen Mengen“, soll das Bier dann getrunken werden.
Und das Drama: Im Schriftbild sind die beiden nicht zu unterscheiden.
Und als ob das noch nicht genug wäre: Mass (3)
Deutsche Leser mögen sich nun ins Fäustchen lachen und denken: „Das habt Ihr nun davon, dass ihr das ß nicht verwendet.“ Tatsächlich hilft das hochdeutsche Eszett (so nennt man den mit ß geschriebenen Buchstaben) in diesem Fall bei der Unterscheidung: Das Mass (1) nämlich wird in Deutschland Maß (1) geschrieben, die Masse (2) aber wie in der Schweiz mit ss. Entsprechend könnte die Zweideutigkeit des Texts in Deutschland mit in Maßen (1) oder in Massen (2) vermieden werden.
Oder?
Zu früh gefreut!
Im bierfreudigen Deutschland wird das Bier nämlich in einer Einheit serviert, die durch imposante Glaskrüge von 1 Liter Inhalt beeindruckt und Mass genannt wird. (Ich gebe dem Krug die Nummer 3.) In der Schweiz würde man Mass (3) schreiben (und die Verwirrung bei der Interpretation der Bildunteschrift mit dieser dritten Variante ins endgültig unerträgliche Mass (1) steigern). In Deutschland aber schreibt man den Bierkrug Maß (3) und in der Mehrzahl wird daraus Maße (3). Da hilft es auch wenig, dass es in der Einzahl die Maß (3) heisst und das Wort sich immerhin in seinem Geschlecht vom Mass/Maß (1) unterscheidet. In der Mehrzahl ist die Eindeutigkeit von Neuem dahin.
Schreibt ein Deutscher also in Maßen, ist wohl klar, dass es nicht heissen kann, Bier sei in rauhen Mengen zu trinken (der Bezug auf Masse (2) ist dank ß ausgeschlossen). Er hat aber immerhin noch die Qual der Wahl zwischen dem Trinken in massvollen Mengen (1) oder in Mengen, die in gigantischen Krügen serviert werden (3). Letzteres dürfte man inhaltlich dann wohl ohne Gewaltanwendung mit (2) gleichsetzen
Daher: Egal ob diesseits oder jenseits unserer nördlichen Grenze: Zu bedauern bist du, der du dir das Deutsche als Fremdsprache erarbeiten musst; besonders, wenn du dabei gerne ab und zu ein Bier trinkst.
Sebastian Krämer meint
Hier in Norddeutschland trinken wir Bier nicht in Maßen … wollt‘ sagen, nicht aus Krügen, selbst wenn wir es in Massen trinken .-)
Peter Bickenbach meint
Eine Frau ist stolz auf ihre Maße aber wahrscheinlich nicht auf ihre Masse. Allen deshalb sollte es ein ß (sz) geben