Jährlich erscheint das offizielle Bundesratsfoto, auf dem sich die Schweizer Regierung (mit Bundeskanzlerin Corina Casanova ganz rechts) mit aller Kraft von ihrer besten Seite zeigt.
Einmal mehr ist das Bild (das übrigens gratis als Papierabzug bestellt werden kann, allerdings nur mit vorgedruckten Autogrammen) überreich an Denkanstössen. Selten bekommt man auf so kleinem Raum so konzentrierte Gelegenheiten, die menschliche Körpersprache zu beobachten und zu studieren. Dass das Gremium sich als Ganzes abbilden lässt, macht die Angelegenheit noch spannender, weil so ein direkter Vergleich der unterschiedlichen Körperhaltungen und ihrer Wirkung auf den Betrachter möglich ist.
Also beobachten wir! Und tun wir es in zwei Richtungen:
Beobachten wir, was wir sehen.
Beobachten wir, wie das auf uns wirkt.
Herr Burkhalter (2. von links) und Herr Berset (2. von rechts) stehen beinahe gleich: beide mit den oft verpönten verschränkten Armen. Warum sieht das bei Herrn Burkhalter dann halbwegs staatsmännisch aus und bei Herrn Berset steif? Mit seiner Mimik tanzt Herr Burkhalter leider komplett aus der Reihe. Während alle anderen (wie ich finde recht natürlich) lächeln, bewegt sein erhabener Gesichtsausdruck sich an der Grenze zur Arroganz (ob dies- oder jenseits der Grenze, dürfte der Betrachter aufgrund seiner eigenen Gemütslage spontan entscheiden).
Herr Ammann (ganz links aussen) hat sich für die natürlichste Haltung entschieden und lässt seine Arme einfach dort herunterhängen, wo sie aus seinem Körper herauswachsen. Ein Schuss, der meines Erachtens nach hinten losgeht. Hier fehlt jede Würde oder Erhabenheit. Die eng zusammenstehenden Füsse wirken instabil (und sind es auch), und dass der rechte Schuh sich an der Innenseite des linken leicht aufrichtet wie bei einem Schulbub, der gerade mit der Hand in der Guezlibüchse („Keksdose“) erwischt wurde, hilft da auch nicht weiter. Mein Gesamteindruck: herzig und etwas spitzbübisch. Ob das Absicht war?
Herr Maurer (3. von links) tanzt aus der Reihe, und er macht das gut. Auf mich wirken er, Frau Widmer-Schlumpf in der Mitte und Frau Casanova ganz rechts am entspanntesten. Diese drei sehen aus, als würden sie sich in ihrer Haut ganz und gar wohl fühlen. Herr Maurer ist der einzige Mann, der sein Körpergewicht nicht auf beiden Füssen gleichmässig verteilt. Das ist gewagt, kann nämlich instabil wirken. Hier aber kommt mir sogar etwas tänzerische Verspieltheit und Eleganz entgegen. Das will eigentlich nicht so recht zum Bild passen, das ich von Herrn Maurer habe. Umso schöner.
Frau Widmer-Schlumpf nimmt die zentrale Position (sie ist dieses Jahr Bundespräsidentin) souverän ein. Sie steht ja ohnehin im Zentrum, muss sich also nicht besonders in Szene setzen. Der Klassiker mit den verschränkten Händen wirkt bei ihr nicht verklemmt, sondern ruhig, bescheiden und zurückhaltend. Nun kann man natürlich darüber streiten, ob eine Bundespräsidentin ruhig, bescheiden und zurückhaltend wirken sollte, aber in diesem Rahmen scheint es mir angemessen. Sie wirkt auf mich vollkommen natürlich.
Ganz im Gegenteil zu Frau Leuthard (4. von rechts). Die Hand über dem Bauch scheint verkrampft und blockiert. Vor wem oder was will sie sich wohl schützen? Diese Position ist für mich das Klischeebild des Menschen, der beim Auftritt ratlos darüber ist, was er mit seinen Händen anfangen soll.
Auch Frau Sommaruga (3. von rechts) weiss offenbar nicht so recht, wo sie ihre rechte Hand verstecken soll. Sie hat daher zur Flucht nach vorn angesetzt und ihr (der Hand) die zentrale Position direkt vor dem Solar Plexus zugestanden. Natürlich sieht das für mich nicht aus, hat jedoch den Vorteil, dass man weniger von der Jacke sieht, die für sich genommen schön sein mag, meiner Meinung nach aber nichts auf einem Gruppenbild verloren hat, auf dem sonst alle dunkel gekleidet sind. (Ich möchte anmerken, dass ich bunter auch schöner finden würde. Aber hier macht man halt keine Experimente und setzt auf sichere Werte, und dunkel ist sicher.) Immerhin erlaubt Frau Sommaruga uns die Bauchfrage, wie ihr helles Jäckchen im Kontrast zu den dunkel gekleideten Kolleginnen und Kollegen wirkt.
Herrn Berset will das mit den verschränkten Armen noch nicht so recht gelingen, scheint mir. Seine Arme wirken auf mich (im direkten Vergleich mit Herrn Burkhalters) blockierend und als möchte er sich an sich selbst festhalten.
Frau Casanova (ganz rechts) schliesslich macht alles richtig. Wie Frau Widmer-Schlumpf gelingt auch ihr die Standardvariante „verschränkte Hände“ ohne jeden Anflug von Verkrampfung. Unterstrichen wird dieser Eindruck durch ihren eleganten Stand. Ihre Kleidung erlaubt uns zudem einen weiteren Direktvergleich: Wirken Frauen mit Hosen anders als Frauen mit Rock?
Das Bundesratsfoto gibt es hier in höhrer Auflösung (2.4 MB).
Und hier gibt’s das Archiv der BR-Fotos von 1993 – 2002 und hier ab 2003. Echte Zeitzeugnisse. Mein persönlicher Favorit ist Herr Leuenberger auf dem Bild „1999 (I)“.
Ändu meint
Irgendwie fehlt mir die volksverbundene Hand im Hosensack. 😉
Cla Gleiser meint
Hast Recht. Da war vor drei Jahren die Welt noch in Ordnung: 3 Männer mit der Hand in der Hosentasche! Zu finden auf Foto „2009 (II)“ hier:
http://www.admin.ch/br/dienstleistungen/00094/00095/00110/index.html?lang=de
Ändu meint
Habe mich zwar beim genaueren hinsehen gerade gefragt, ob nicht Schneider-Ammanns linke Hand möglicherweise doch in der Hosentasche steckt. Dies liesse bei mir dann beinahe den Verdacht entstehen, dass der Grafiker, der das Foto montiert hat, diese gezielt versteckte. Das wäre dann auch die Erklärung dafür, warum Schneider-Amman so nahe bei Didier Burkhalter steht – was mich irgendwie schon von Anfang an irritiert hat.
Daniel meint
Danke für die anregenden Kommentare.
Bin auch schon über das Bild gestolpert. Finde es zudem noch bemerkenswert, dass es eine Bildmontage ist und man sich gar nicht wirklich für das Foto getroffen hat.
http://www.tagesschau.sf.tv/Nachrichten/Archiv/2012/01/01/Schweiz/Bundesratsfoto-2012-Aufbruch-in-die-Zukunft
Ich finde das spürt man dem Bild schon ab. Das Bild präsentiert zwar jeden einzelnen Bundesrat. Aber man ist sich nicht so sicher, ob man wirklich miteinander unterwegs ist. So wirkt es zumindest auf mich.
Cla Gleiser meint
Hi Daniel, vielen Dank für Deinen Kommentar.
Dass das Bild eine Montage ist, war mir gar nicht bewusst, als ich den Artikel schrieb. Inzwischen wurde ich von verschiedener Seite darauf aufmerksam gemacht. Und ja: Jetzt, wo ich es weiss, glaube ich auch, etwas Unnatürliches, Konstruiertes zu spüren, wenn ich mir das Foto ansehe.
Dass das Gruppenbild eines Regierungsgremiums auf diese Weise zusammengestückelt wird, sendet meines Erachtens ein ganz ungutes Signal. Du sagst es sehr treffend: Von „miteinander unterwegs sein“ kann da nicht mehr gesprochen werden. Vielleicht habe ich ja eine zu naive Sicht von Führungs- und Regierungsaufgaben, aber ich finde das sogar etwas beunruhigend.
Walter Däppen meint
In jedem Foto-Anfängerkürsli lernt man, dass durch den Kopf gehende Linien stören. Bei einem solchen Hintergrund ist dies unvermeidlich. Zwei Stämmchen wachsen der Chefhelvetia wie ein kleines Gehörn aus dem Kopf und auch der Frischling hat einen Kopfschmuck. Total störend sind die Seitenränder, die die Köpfe der *Randständigen“ spalten. Was hat die Uebung gekostet? Der Wirkungsgrad ist jedenfalls dürftig, aber das ist ja in der Politik normal. Walti der Hobbyknipser
Cla Gleiser meint
Lieber Hobbyknipser
Danke für die fotografische Hilfestellung. Die Geweihe haben es in sich. Jetzt sehe ich sie auch – und nicht nur das: Ich kann sie gar nicht mehr ausblenden! (Vielleicht war das ja Absicht?)
Markus meint
Tja, vielleicht liegt der Grund für die Fotomontage ja darin, dass man Frau W.-S. und Herrn U.M. im echten Leben nie so enstpannt so nah nebeneinander sieht. Da blieb dem armen Fotografen dann halt nichts anderes übrig. Technisch gesehen ist das ganze eine Katastrophe: Die Bilder sind schlecht zusammenmontiert, die Schatten fallen auf alle Seiten und nicht einmal das Licht ist auf allen Bildern gleich. Und dann der Hintergrund: Da hat jemand seinen Wohnzimmerboden zur Verfügung gestellt und an eine weisse Fläche gekippt. Die Schattierung am unteren Ende der Wand lässt ausserdem vermuten, dass zwischen der Wand und dem Ende des Bodens noch ein Graben ist. Was dann das Biotop im Hintergrund noch soll, bleibt für mich schleierhaft. Meine Vermutung: Hier wollte jeder ein bitzli mitreden, und dabei schauen dann normalerweise solche Grässlichkeiten heraus. Als Abbild unserer politischen Landschaft taugt das Bild zumindest aus dieser Perspektive.
Cla Gleiser meint
Danke, Markus.
Zum „Biotop“ muss ich einfach festhalten: Das ist keine Foto-Tapete, sondern ein Gemälde des Schweizer Künstlers Franz Gertsch: http://www.museum-franzgertsch.ch/
Damit ist natürlich noch nichts darüber gesagt, wie der Beitrag an die Gesamtkomposition des Fotos zu werten ist. Aber immerhin: Die Kultur steht im Hintergrund.