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Eine Rede bauen 3: elocutio

13. Oktober 2009 by Cla Gleiser 6 Kommentare

Vom Redner her betrachtet ist nach Schritt 2 (dispositio) der schwerste Teil der Arbeit geschafft. Von aussen gesehen sieht es anders aus: Jetzt (erst) kommt das Wesentliche, wenn die geplanten Gedanken Gestalt annehmen – in der Form von Wörtern, Sätzen, Abschnitten. Und natürlich ist das wesentlich, auch wenn es „nur noch“ darum geht, dem ausgelegten roten Faden entlangzuformulieren. Letztlich entscheidet die Sprache, die wir wählen, zu einem grossen Teil darüber, ob die Botschaft gehört wird oder nicht.

elocutio_web

Was muss passen?

4 Qualitätsmerkmale der klassischen Rhetorik helfen, diesen Arbeitsschritt zu gestalten:

  • Die Sprache soll korrekt sein.
  • Sie soll klar sein.
  • Sie soll angemessen sein.
  • Sie soll durch Stilmittel gestaltet werden.

Dass die Sprache korrekt sein sollte, versteht sich von selbst, schliesslich geht es darum, verstanden zu werden. Die Klarheit ist schon etwas schwieriger fassbar. In der Vorbereitung kann ich das überprüfen, indem ich mich in meine Zuhörer versetze und die Frage stelle, ob meine Ausführungen aus ihrer Sicht verständlich und nachvollziehbar sind. Angemessen muss die Sprache in verschiedener Hinsicht sein. Hier spielt das Thema eine Rolle, der Rahmen (Anlass und Publikum) und schliesslich: der Redner. Drücke ich mich in einer Sprache aus, die mir entspricht? Oder baue ich eine sprachliche Fassade auf? Diese Fragen können unbequem werden, wenn die Antworten in verschiedene Richtungen ziehen. Da gilt es ehrlich zu bleiben, mit sich selbst wie mit dem Publikum.

Konzentrierten möchte ich mich heute auf den letzten Punkt: die Gestaltung der Sprache durch Stilmittel. Und gemeint ist tatsächlich Gestaltung – und nicht Verunstaltung oder Verfremdung. Keinesfalls geht es darum, die eigene Ausdrucksweise zu verkünsteln und in etwas Unnatürliches zu verformen. Das würde dem rhetorischen Ideal der Angemessenheit widersprechen.

Doch worum geht es dann?

Stil mit Wirkung – Wirkung mit Stil

Die rhetorischen Stilmittel werden mit verschiedenen Absichten eingesetzt. Zwei wichtige sind die Verstärkung einer Aussage und die Führung der Argumentation. (Beispiele folgen weiter unten.) Und schliesslich: Einprägsame Formulierungen prägen sich einfach leichter ein. Und ich will bei meinem Publikum ja etwas hinterlassen. Wie aber wird eine Formulierung zu einer einprägsamen Formulierung? Genau hier setzen viele der rhetorischen Stilmittel an.

Glücklicherweise ordnet die systematische Rhetorik die umfangreiche Masse von Stilfiguren nach ihrer Wirkungsweise. Das hilft beim Suchen und Finden. (Die Darstellung von Clemens Ottmers in seinem Grundlagenbuch finde ich besonders hilfreich. Wissenschaftlich fundiert und praxisbezogen.) Und wenn man nicht sucht, kann ein Blick in die grosse Palette Ideen erzeugen, die bei der Weiterentwicklung der rhetorischen Fähigkeiten helfen. Wer sich darauf einlässt, wird zudem feststellen: He, das mache ich ja schon. Diese Figur wende ich schon lange an. (Dass verschiedene Rhetorische Figuren fester Bestandteil unserer Umgangssprache sind, habe ich hier bereits erwähnt.)

Nun aber einige Beispiele für die Anwendung dieser Stilmittel:

Wenn Bundesrat Couchepin vom KZ-Arzt Mengele sprechen will und dabei „versehentlich“ „Mörgele“ statt „Mengele“ sagt, dann hat er zwei Begriffe vertauscht, die eine klangliche Ähnlichkeit haben und somit eine rhetorische Stilfigur eingesetzt. Mit einem klaren Ziel, versteht sich. (Dieses Beispiel illustriert auch: Rhetorische Stillehre ist keine hohe Wissenschaft. Berührungsängste sind daher fehl am Platz.)

In einem frühen Post habe ich auf die Anapher hingewiesen, die Obama in seiner Rede bei der Berliner Siegessäule wirkungsvoll einsetzte. Eine Anapher liegt dann vor, wenn mehrere aufeinander folgende Sätze oder Teilsätze mit demselben Wort oder denselben Wörtern beginnen. Auf diese Weise kann eine Formulierung (und damit ein Gedanke) fest in den Zuhörern verschraubt werden. Ein bekanntes Beispiel sind die Seligpreisungen aus dem Matthäusevangelium (Kapitel 5), bei denen jeder Satz mit „Selig sind“ beginnt. Wenn die Menschen nach der langen Predigt nur noch eines wussten, dann war es sicher, dass auch sie sich aus gutem Grund selig nennen konnten.

Zurück zum schon öfter als Beispiel angeführten Streit um den neuen Kinderspielplatz im Quartier. Nachvollziehbar ist der Gedanke, dass die Kinder eher auf der Strasse spielen, wenn ihnen weiterhin kein Spielplatz zur Verfügung steht und dass dadurch die Gefahr von Verkehrsunfällen steigt. (Die Entscheidung für diese Argumentation habe ich bereits in der inventio gefällt.) Nun bleibt aber noch die Frage, wie ich dieses Argument formulieren will, damit es auch möglichst kräftig einschlägt. Zum Beispiel so:

“Kein Spielplatz” bedeutet mehr Kinder auf der Strasse, mehr Kinder auf der Strasse bedeutet mehr gefährliche Situationen im Verkehr und mehr gefährliche Situationen im Verkehr bedeutet mehr Unfälle.

Diese – Klimax genannte – Stilfigur spitzt die Gedankenfolge so stark zu, dass die Zusammenhänge entwaffnend logisch klingen. (Was sie in diesem Fall wohl auch sind, das ist aber nicht immer so.) Dabei werden jeweils zwei Elemente verknüpft, wobei das zweite Element dann als erstes des folgenden Paares wiederholt wird.
Natürlich könnte die Gegenseite die gleiche Strategie verfolgen:

Ein Spielplatz im Quartier bedeutet mehr Kinder um unsere Häuser herum, mehr Kinder um unsere Häuser bedeutet mehr Lärm, mehr Lärm bedeutet weniger Wohnqualität.

Wenn ich nun in der Vorbereitung bereits über mögliche Argumente der Gegenseite nachdenke und diese in meine Ausführungen integriere, dann kann ich das zum Beispiel in Form einer so genannten permissio machen, einer „Einräumung“.

Natürlich ist auch mir bewusst, dass der fröhliche Betrieb auf einem Spielplatz nicht geräuschlos läuft, jedoch . . .

Und dann hole ich zum nächsten Argument aus – und habe damit bereits einen Pfeil im Köcher des Gegners zerbrochen.

Diese Beispiele bedeuten nicht mehr als einen kleine Einblick in eine grosse, bunte Welt. Auch das Stellen einer rhetorischen Frage ist ein Stilmittel, ebenso wie der Einsatz von Ironie oder Sarkasmus. Und auch die exsecratio, die Verwünschung oder Verfluchung des Gegners, gehört in den Katalog – obwohl sie sich heute leider nur noch begrenzter Verbreitung erfreut. (Couchepin war mit dem Mörgele-Spruch aber immerhin nahe dran.)

Zum Redetext

Und wie werden die Bausteine nun zu einem fortlaufenden Redetext? Das Vorgehen hängt natürlich von den persönlichen Vorlieben ab. Man kann einfach losschreiben oder einfach losreden. Ich bevorzuge letzteres. Anhand meiner Disposition (in form eines Mindmaps) beginne ich einfach zu reden (alleine!), halte inne, wenn mir etwas gefällt oder ein Loch in der Gedankenfolge mich angähnt, notiere die eine oder andere Formulierung, präzisiere die Übersicht, indem ich zum Beispiel den Zusammenhang zwischen zwei Elementen verdeutliche, rede weiter, trinke einen Schluck Kaffee und rede weiter, bis ich am Schluss bin. Solche Durchgänge wiederhole ich mehrere Male, bis alles passt. Da Anfang und Ende entscheidende Phasen einer Rede sind, formuliere ich diese jeweils schriftlich, nachdem ich im freien Sprechen den passenden Wortlaut gefunden habe.

Ob man die Wörter schreibend oder redend findet, ist eigentlich egal. Wichtig ist für den Schreibenden jedoch, dass er sich vor Augen hält: Was ich schreibe, werde ich sprechen. Der Text wird nicht gelesen. Deshalb muss auch der Schreiber sich hin und wieder erheben und laut in den Raum lesen, was er formuliert hat. Nur so kann er sicher sein, den richtigen Ton getroffen zu haben. (Von der Satzlänge ganz zu schweigen.) Und ich kann es mir nicht verkneifen, doch noch auf einen Nachteil des Schreibens hinzuweisen: Wer die Formulierung seiner Rede schreibend vornimmt, wird später grösseren Aufwand betreiben müssen, um sich für die Ausführung vom Manuskript zu lösen. Und wer will eine Rede schon vorlesen? – Na gut, einige Pragmatiker möchten hier vielleicht mit Ja antworten. Wer aber will eine Rede vorgelesen bekommen? – Keiner!

Um die Alternative geht es im nächsten Schritt, der memoria.

Ein bekanntes Beispiel sind die Seligpreisungen aus dem Matthäusevangelium (Kapitel 5), bei denen jeder Satz mit „Selig sind“ beginnt. Wenn die Menschen nach der langen Predigt nur noch eines wussten, dann war es sicher, dass auch sie sich aus gutem Grund selig nennen konnten.

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Kategorie: Allgemein Stichworte: Elocutio, Klimax, Produktionsstadien, Rhetorik, Stilfiguren

Kommentare

  1. Tobias Lampert meint

    13. Oktober 2009 um 16:28

    Hei Cla!

    Vielen Dank für die riesige Mühe, die Du Dir mit diesen Einträgen machst – ich finde die Reihe über die Redegestaltung sehr informativ und hilfreich! Hast Du schon einmal darüber nachgedacht, die Einträge nach Abschluß der Reihe als PDF anzubieten?

    Herzliche Grüße,
    Tobias

    Antworten
  2. Cla Gleiser meint

    13. Oktober 2009 um 16:49

    Hi Tobias.
    Danke für die Rückmeldung. Freut mich, wenn’s hilfreich ist.
    PDF: Ja, klar. Werde ich machen und dann auch in den Download-Bereich legen.
    Herzlicher Gruss zurück!
    Cla

    Antworten
  3. Tobias Lampert meint

    13. Oktober 2009 um 17:14

    Prima! Vielen Dank!

    Antworten
  4. Cla Gleiser meint

    5. Februar 2010 um 15:16

    So, ich hab das PDF endlich fertiggestellt und im Downloadbereich platziert.

    Antworten
  5. Tobias Lampert meint

    10. Februar 2010 um 09:09

    Hallo Cla!

    Herzlichen Dank für Deine Mühe – hab’s gleich heruntergeladen!

    Viele Grüße in die schöne Schweiz,
    Tobias 🙂

    Antworten

Trackbacks

  1. verständlich » Eine Rede bauen 4: memoria sagt:
    23. Oktober 2009 um 07:35 Uhr

    […] memoria bezeichnet die klassische Rhetorik das Einprägen der Rede, nachdem die Gedanken in der elocutio ihre sprachliche Form gefunden haben. Natürlich könnte man darauf verzichten und einfach […]

    Antworten

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