Letzte Woche im Migros Magazin: Unter dem Titel „Blau ist nicht blau“ erscheint ein kurzes und leider fast unscheinbares Artikelchen zu einem meiner Lieblingsthemen. Und weil es so gut war, zitiere ich es hier komplett:
Blau ist nicht blau
Die Farbe Blau ist für Italiener nicht einfach nur blau: Das sonnenverwöhnte Volk am Mittelmeer kennt mindestens drei verschiedene Bezeichnungen für Blau – „blu“ für dunkelblau, „azzurro“ für hellblau und „celeste“ für die Farbe des hellen Himmels in der Mittagssonne. Im grauen England hingegen sind Himmel und Meer schlicht „blue“. Für Sprachforscher ein Hinweis darauf, wie untrennbar Wahrnehmung und Sprache miteinander verbunden sind. „Wenn wir, wie die Isländer, viele Begriffe für Schnee kennen, ist unsere Fähigkeit, die unterschiedlichen Schneesorten blitzartig zu unterscheiden, sehr ausgeprägt.“ Lernen wir nun eine neue Sprache, erlernen wir nicht nur eine neue Art zu sprechen, sondern machen uns auch eine neue Wahrnehmung zu eigen.
(Migros Magazin 19, 10. Mai 2010, S. 81)
Wie schön und einfach erklärt. (Obwohl sich ein kleiner Fehler eingeschlichen hat: Für die Engländer sind Himmel und Meer natürlich nicht schlicht „blue“, sondern schlicht „grey“.)
Das bringt mich zurück zu Paul Auster, über dessen neuen Roman Invisible (Unsichtbar) ich hier vor einigen Wochen geschrieben habe. Aus diesem Roman habe ich mir etwas notiert, das beinahe nahtlos ans Migros Magazin anknüpft.
(In einem Schritt vom Migros Magazin zu Paul Auster: Da soll mir noch einer sagen, ich sei kein flexibler Denker.)
Bei einem Abendessen mit dem Protagonisten bezeichnet die Sprachtherapeutin Hélène Juin (in meiner Ausgabe auf Seite 197) die Sprache als die Fähigkeit, die Welt durch Symbole zu erleben („the ability to experience the world through symbols“). Sie behauptet gar, Gedanken könnten nicht ohne Sprache existieren („thought cannot exist without language“). Nun zeigen die Folgen, die Verletzungen oder Erkrankungen gewisser Hirnregionen auf das Sprachvermögen haben können, dass Sprache eine Funktion des Gehirns und die Sprachfähigkeit daher eine physische Eigenschaft des Menschen ist („a physical property of human beings“). Wenn wir nun die Welt mithilfe der Sprache wahrnehmen, unser Denken ohne Sprache also undenkbar wäre und diese Sprache körperlichen Ursprungs ist, dann ist die weit verbreitete Sicht der Dualität zwischen Geist und Körper nicht zu vertreten („which proves that the old mind-body duality is so much nonsense, doesn’t it?“): Körper und Geist sind eins.
So wenige Gedankensprünge benötigt Hélène, um vom Sprachvermögen her das Wesen des Menschen zu erklären.
Danke, Migros Magazin!
Heinz meint
Wow, spannend. Für mich ist vor allem der Schlussabschnitt (wo Körper und Geist sich in ihrer Bedeutung zu überlappen beginnen) Neuland und sehr anregend. Ich dachte bisher, dass ich nach dem Fallenlassen der Dreiteilung Körper-Seele-Geist zugunsten einer zweiteiligen Sicht des Menschen vor Jahren am Ende der Weisheit angelangt sei. Es ist ungemein anregend, zu denken, dass es gar nichts zu teilen gibt; der Mensch als In-dividuum.
Cla Gleiser meint
@ Heinz.
Danke. Mich hat auch verblüfft, wie einfach mir diese Argumentation entgegenkam. Und dann noch so unerwartet, fern von jeder Fachliteratur.