Letzte Woche gab ich hier Anhaltspunkte für den perfekten Redeanfang und hörte mit dem ersten Wort auf. Kurz darauf lag in meinem Posteingang ein E-Mail, das mich durch einen brillanten Eröffnungssatz zuerst bewegte und dann beeindruckte und mich so zurück zu diesem ersten Wort führte.
Da hiess es:
Guten Tag Cla Gleiser
Der Preis für ein Kilo Brot verdoppelt sich bis Weihnachten .
Kaum hatte ich diesen Satz gelesen, fing es in mir bereits an zu rechnen. Und auch Entrüstung machte sich sehr schnell bemerkbar — ich fühlte mich benachteiligt.
Diese Reaktion lief nicht im Kopf ab, sondern im Bauch. Und genau der ist auch das Ziel einer gelungenen Eröffnung. Nachdenken kommt später.
Und vom Bauch gesteuert las ich natürlich weiter:
Nein, nicht bei uns. Aber zum Beispiel in Mosambik ist dies durchaus wahrscheinlich. Denn wir stehen heute einmal mehr am Beginn einer Nahrungsmittelkrise. Ein wesentlicher Grund dafür ist die Spekulation mit Nahrungsmitteln.
Heute wird deshalb die Initiative «Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln» lanciert. Meine Bitte: Nehmen Sie sich zwei Minuten Zeit, um die Initiative zu unterschreiben. Hier zeigen wir Ihnen, wie das geht.
Uns ist das Anliegen ausserordentlich wichtig. Danke für Ihre Unterstützung!
Mit herzlichem Gruss
Christian Engeli,
Solidar Suisse
Da ich nicht jeden Tag E-Mail-Eröffnungen von solcher Qualität zu sehen bekomme, beschloss ich, kurz innezuhalten und mich zu fragen, was denn nun den Erfolg ausmachte. Warum kam mir dieser erste Satz so unangenehm und wirkungsvoll nahe?
Zwei Faktoren halte ich für entscheiden, einer betrifft den Inhalt, der andere die Form:
Nähe durch direkten Bezug auf mein tägliches Leben
Die Aussage bezieht sich ganz direkt auf meinen Alltag, und dies gleich mehrfach.
Ich kaufe Brot regelmässig ein und bezahle dann an der Kasse dafür. Dass der Aspekt „an der Kasse bezahlen“ entscheidend ist, spürte ich deutlich, als ich Brot durch Wasser ersetzte. Ich benötige zwar viel mehr Wasser als Brot, aber da ich beim Wasser das unmittelbare „Zahlerlebnis“ fehlt, wirkt der Gedanke auf eine Preiserhöhung dort weit weniger bedrohlich.
Mit bis Weihnachten wird zudem ein Zeitraum abgesteckt, den ich unmittelbar fühle. Es ist Oktober, aber Weihnachten ist bereits ein Thema und als Fixpunkt in der Agenda deutlich spürbar. Das geht mir näher als es zum Beispiel in den nächsten drei Monaten tun würde.
Nähe durch einfache Sprache
Kein Nebensatz. Kein Partizip. Kein Fremdwort. Kein Fachbegriff.
Kein Wort mit mehr als 3 Silben. Keine Zuständigkeit, kein beziehungsweise und erst recht kein Verantwortungsgefühl.
Dafür haben 7 der 10 Wörter nur eine Silbe, eines 2, zwei 3.
Bitte, bitte, bitte, liebe Phrasendrescher und Sprachbläher: Schreibt es euch hinter die Ohren oder schnitzt es euch ins Brett vor dem Kopf!
Marcus Kuemin meint
Danke für die geniali Siite. Jetzt wo I echli Ziit han, machts richtig Spass dur die germanistische Stolperstei z’flüge…
Liebi Grüess us Kathmandu
Cla Gleiser meint
Merci, Marcus.
Mark Moser meint
Herzlichen Dank – das sind wertvolle Gedanken.
Cla Gleiser meint
Gerne geschehen. 🙂
Haag Sylvia + Peter meint
Mit Interesse und Bewunderung habe ich heute den Artikel in der Zürichsee Zeitung gelesen.
Selbstverständlich muste ich sofort das Globi Wimmelbuch bestellen. Wir waren enge Freunde von Angelina und Otto und erinnern uns noch heute an gemütliche Stunden im Leeman. Unsere Kinder hatten sogar die Ehre in deinem Kinderbett grosszuwerden. Es könnte sein, dass im Bezuge auf Gestaltung etwas abgefärbt hat.
Liebe Grüsse und weiterhin viel Erfolg. Lass gelegentlich Angelina von mir grüssen.
Sylvia Haag