Kürzlich passierte mir wieder einmal etwas Schönes. Ich hörte mir einen Podcast aus der Reihe SWR2 Aula an und war richtig begeistert von der klaren und einfachen Sprache der Meeresbiologin Antje Boetius. Das Thema war
Expedition zum Meeresgrund: Warum der Mensch die Tiefsee braucht.
Die Expertin schaffte es, mich sofort in ihre Welt hineinzuziehen. Eine Welt, notabene, von der ich zuvor kaum eine Ahnung gehabt hatte. Der Beitrag dauert knapp 30 Minuten und ist hier anzuhören oder herunterzuladen.
Was passiert denn da?
Solche Glückstreffer im Alltag sind mir sehr willkommene Chancen, etwas dazuzulernen. Das geht jeweils ganz unkompliziert vonstatten. Wenn ich etwas sehe, höre oder auf einem anderen Kanal wahrnehme, das meine Aufmerksamkeit weckt, dann halte ich kurz inne und frage: Was passiert denn da? Beim Podcast von Frau Boetius liess diese Lernfrage sich so zuspitzen:
Warum nimmt diese Sprache mich so ins Thema hinein?
Dann suche ich eine oder zwei oder drei Antworten – oder einfach so viele, wie meine Lernfreude verlangt. Diese Antworten sind in der Regel unspektakulär, aber dennoch aufschlussreich.
Im Tiefsee-Podcast fiel mir zum Beispiel auf, dass die Sprecherin ihre eigene Lernfreude zeigte. Da beschreibt sie zum Beispiel, was Ihr auf dem Meeresgrund am Nordpol begegnete, und ist selbstbewusst genug, diese spektakulären Funde mit der Bemerkung zu ergänzen:
Hatte ich vorher auch noch nie gesehen.
Viele Experten würden zögern, einen solchen Satz zu äussern, weil er natürlich das Risiko birgt, ihren Expertenstatus zu untergraben. In diesem Referat aber sehe ich gerade darin einen Erfolgsfaktor, weil diese Äusserung Nähe zu mir als Zuhörer erzeugt; Nähe, die diese Referentin offenbar zulassen kann, ohne sich bedroht zu fühlen; Nähe, die sie auch dabei unterstützt, Menschen mit ihrer eigenen Begeisterung für ihr Thema oder ihre Welt anzustecken. Das eine weitere Beobachtung: Man spürt Frau Boetius die Leidenschaft an. Und wer hört nicht gerne leidenschaftlich referierenden Menschen zu, die zudem noch wissen, wovon sie reden?
Lernen mitten im Alltag
Aber eigentlich geht es ja um etwas anderes. Doch dieses Andere lässt sich am Beispiel des Podcasts gut illustrieren, womit die umständliche Einführung hoffentlich ausreichend begründet wäre.
Unser Alltag ist voll von wertvollen Lektionen in allen Lebensbereichen. An jeder Ecke lässt sich etwas lernen, und dies nicht nur über die Fachgebiete unseres Lebens (oder neue), sondern auch ganz grundsätzlich über unser menschliches Miteinander.
Für mich ist diese nie versiegende Quelle aus meiner persönlichen Weiterbildung nicht mehr wegzudenken. Natürlich lese ich gerne Bücher über die Dinge, die mich interessieren, aber ein Ersatz für das Lernen im Alltag sind sie nicht.
Zur alltäglichen Lernbereitschaft gehören für mich:
- Aufmerksamkeit. Ich höre und schaue hin und bin bereit, Neues zu entdecken.
- Die Bereitschaft zu staunen. Das bedingt, bei aller Betriebsamkeit auch einmal innezuhalten und einen Moment länger hinzusehen.
- Die Frage: Was passiert da? Natürlich hätte ich mich auch einfach so über den gelungenen Tiefsee-Podcast freuen können. Für einen Lernertrag aber braucht es den Wechsel der Betrachtungsebene. Also freue ich mich nicht nur, sondern frage mich: Worüber genau freue ich mich? Was ist hieran gut? Übrigens glaube ich, dass wir gerade vom „Guten“ viel lernen können. Mehr als vom Brillanten, das uns ja auch hie und da begegnet. Das Brillante lässt uns zu oft einfach staunen und in Ehrfurcht erstarren. (In der Rhetorik, das so nebenbei, erzeugt Brillanz darum eher Distanz als Nähe.)
- Lockerheit. Es genügt, auf die Lernfrage „Was ist hier gelungen?“ eine einfache Antwort zu geben. Das ist für mich schon ein Lernschritt. Dazu muss ich mich nicht in stundenlange Analysen versenken. Experten dürfen offenbar nicht nur eingestehen, dass sie noch nicht alles wissen, sie können mit diesem Eingeständnis beim Publikum sogar punkten. Wenn das keine ermutigende Lektion ist.
Allen meinen Lesern wünsche ich alles Gute und viele belebende Lektionen für 2013!
Herzlich
Cla Gleiser
Nachtrag: Und hier gibt’s noch eine tolle Anregung zum Einüben eines lernbereiten Lebensstils
Ändu meint
Ganz meine Philosophie. Hinschauen, staunen, lernen und sich darüber freuen. Vielen Dank für diesen Post!
Eine ähnliche Erfahrung wie der SWR-Beitrag war für mich der Dokumentarfilm über die Felsenstadt Petra im Schweizer Fernsehen.
Besonders faszinierend dabei: die Schweizer Archäologen, die in breitestem Berner- und Baslerdialekt mitten in der Wüste die Besonderheiten dieser Stadt erklären. Der eine reden von einem „wullige Umhang“ der Beduinen, der andere bemerkt, es sei eigentlich „biirewaich“, in diesen Felsen eine Stadt zu bauen.
Da fühlt man sich doch gerade daheim.
http://www.srf.ch/player/tv/sternstunde-kunst/video/petra-wunder-in-der-wueste?id=ad911b24-2ce7-4302-89e9-a6f336d2949e
Cla Gleiser meint
Vielen Dank, Ändu. Muss ich mir gleich anschauen.
„Birrewaich.“ Wie schön. Das sind die Kostbarkeiten des Schweizerdeutschen.
Tim meint
Danke für den Hinweis Cla, wirklich eine aufschlussreiche Sendung einer sehr engagierten Frau. Es löste tiefe Betroffenheit in mir aus, vor allem zu wissen, dass der Meeresboden überall mit Plastik übersät ist und die Fauna darunter erstickt. Es erinnerte mich an einen Besuch in Bulgarien, 1998. Am Strassenrand, auf Wiesen und Feldern, an Büschen und Hecken; überall hing es, dieses weggeworfene Plastik, meist verblichene kleine, löcherige Säcke, grau und schmutzig, die Schöpfung entweihend.