Einer meiner liebsten Orte, um ein Buch fertigzulesen, ist ein Café oder ein Restaurant. Vorzugsweise ein Café – und es muss noch nicht einmal Starbucks sein. Ich sitze ohnehin gerne in Cafés, weil ich mich hier vom Leben umgeben fühle und Dinge beobachten kann, die mir sonst komplett verborgen blieben. Das unberechenbare Gewimmel von Menschen hat es mir angetan. Eine ausgezeichnete Umgebung, um ein Buch fertigzulesen.
Das Café ist vor allem deswegen geeignet, weil ich mich hier als Teil einer grösseren Geschichte erlebe. Wenn ich zuhause im Bett lese, bin ich einigermassen vom Leben um mich herum isoliert. Allein. Doch allein schreibt man keine grossen Geschichten. Geschichten ereignen sich zwischen Menschen. Und im Café sind Menschen, und ich bin mittendrin. Das erinnert mich daran, dass das Leben auch eine Geschichte ist, und die Geschichte, die ich gerade zu Ende lese, Teil dieser Geschichte. Die Grenzen zwischen literarischer Geschichte und Lebensgeschichte verschwimmen. Erfundenes und Reales sind nicht mehr klar zu unterscheiden. So muss Lesen sein!
Weitere Vorteile des Cafés als Ort, an dem ich ein Buch zu Ende lese:
- Ich kann mir ganz nach meiner momentanen Lust etwas Feines bestellen. Das ist genussvoll. Und auch Lesen hat mit Genuss zu tun. Wenn mehr Sinne geniessen, wird darum auch die Leseerfahrung umfassender.
- Das fremde Umfeld reduziert die Ablenkung. Trotz der bewegten Umgebung fühle ich mich in einem Café in der Regel fokussierter als daheim oder im Büro.
- Ich habe die Möglichkeit, einem wildfremden Menschen mein Herz über das gerade gelesene Buch auszuschütten. Ich kann vorschwärmen oder über das Leben und den Tod philosophieren oder mich als eine der Figuren aus meinem Buch ausgeben – und das ganz ohne Angst vor Konsequenzen. (Ich gebe zu: Das habe ich noch nie gemacht, aber ich könnte!)
Nachteile des Cafés als Ort, an dem ich ein Buch zu Ende lese:
- „Ist hier noch frei?“ Diese Frage könnte ausgerechnet dann ertönen, wenn ich gerade in den letzten Abschnitt (oder gar den letzten Satz) meines Buches eingetreten bin. Dann darf ich aber nicht mehr unterbrochen werden! (Dieser Punkt ist gleichzeitig ein Vorteil, weil er den Nervenkitzel erhöht.)
- Ich bin gehemmt, meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. In einem Café werde ich weder herumtanzen noch jubeln noch weinen. (Nicht, dass jedes Buch eine so dramatische Reaktion verlangt, aber es kann ja mal vorkommen.) So bleibt eine angemessene Antwort möglicherweise unterdrückt. Und diese Antwort lässt sich später nicht mehr nachholen, weil die Gefühle sich schnell wieder legen.
- Immerhin bietet das Café eine ausgezeichnete Umgebung, um mit einigen Sätzen im Notizbuch zu antworten. Ich schlage mein Buch zu, atme durch, bestelle mir nochmals einen Kaffee und schreibe einige spontane Zeilen an eine der Figuren aus dem Buch, an den Autor oder an mich selbst.
Hoppla, das war ja schon wieder ein Vorteil.
Ich sollte mehr in Cafés lesen.
[…] Manchmal ist es schön, ein Buch umgeben von Menschen zu Ende zu lesen. Meistens aber nicht. Und alleine sein ist eines. In einer versifften […]